Als ich dieser Tage,
aus Anlass seiner Auszeichnung mit dem
Wolfgang-Neuss-Preis, Fritz Teufel persönlich kennen
lernte, überraschte mich kaum, dass er nach innen
gekehrt, fast schüchtern wirkt, auch wenn sein alter Witz
dann und wann noch aufblitzt. Es kam mir schon immer
ziemlich blöd vor, wenn Gegner der Studentenbewegung die
beteiligten Aktivisten über einen Leisten schlugen. Wir
waren alle sehr anders.
Ähnlich waren wir natürlich auch. Wer wie ich Anfang
der sechziger Jahre aus der Provinz zum Studium nach
Berlin ging, traf schnell auf Tausende, die mit sich
gleich unzufrieden waren: nach den ramponierten bürgerlichen
Idealen in der Nachkriegszeit mehr oder minder brav
sozialisiert, fühlte man sich merkwürdig eingeschnürt,
am freien Atmen gehindert - und wusste dennoch nicht, was
tun. In den Hörsälen artikulierte sich das Ungenügen an
der Gesellschaft kaum, von Klärung ganz zu schweigen.
Eher schon auf dem Campus. Vor der Mensa der Freien
Universität beispielsweise fingen Mitglieder der Kommune
I uns mit lauten Ansprachen und mit Flugblättern ab. Von
kleinbürgerlicher Familie und autoritärer Erziehung war
die Rede, von Orgasmusschwierigkeiten sogar. Ich
bewunderte die spektakuläre Offenheit der Gruppe,
verstand vom Text aber wenig. Die lauthals benannten
Versatzstücke des unterdrückten Subjekts schwammen erst
einmal zusammenhanglos in meinem Kopf herum. Mit
Faschismus und Vietnamkrieg bekamen sie erst viel später
zu tun.
Am Zusammenhang zwischen "depraviertem"
Subjekt, "repressiver" Gesellschaft und dem
Staat als "Kapitalagenten" kristallisierte sich
ein Motiv der studentischen Revolte seinerzeit heraus. Die
Kommune I, in der Teufel andere inszenierungsbegabte
Genossen fand, zog die Aggression der
"Herrschenden" umso mehr auf sich, als sie
instinktsicher das Tabu freier Sexualität gegen den (nach
Wilhelm Reich) "gepanzerten Charakter" des
Bourgeois durch anarchische Spektakel und Späße
ausspielte.
Mir, der ich keiner Partei oder Fraktion angehörte,
genügte damals, wenn der Staat, die Staatsgewalt total
aus der Fassung geriet. Dieser Staat, darin waren wir Jüngeren
uns inzwischen einig, musste erst einmal heftigst
durchgeschüttelt werden, um seine katatonische NS-Starre
zu verlieren, sein autoritäres Gehabe, seine
patriarchalische Uniformität. In den WGs und
Szene-Kneipen, den republikanischen Clubs und mittlerweile
sogar den Seminaren kochten die politischen Diskussionen.
Aber für die anschauliche Provokation der Staatsgewalt,
die Probe aufs Exempel ihrer Lernfähigkeit, blieben
Teufel und seine Kommune lange zuständig.
Und die Staatsgewalt brauchte lange, um zu lernen.
Heute so zu tun, als wäre es möglich gewesen, den
Nachfolgestaat Hitlers ohne Gewalt infragezustellen - das
ist mehr als heuchlerisch. Die manifesten
antidemokratischen Kräfte und Entwicklungen nur mit
Argumenten zu bekämpfen - Stichwörter Atomwaffen,
Notstandsgesetze, "Spiegel"-Affäre, persischer
Potentat usw. - war schlicht wirklichkeitsfremd. Außerdem
widersprach schiere Rationalität unseren aufgestauten Gefühlen.
Man vergisst leicht, dass wir als im Geist der
vierziger Jahre erzogene Generation natürlich auch selbst
Teil des Problems waren. Ich erinnere mich gut, wie schwer
es vielen von uns fiel, erst einmal furchtlos gegen
Obrigkeiten aufzustehen - ob im Seminar, im Alltag oder
vor Gericht. Das dann auch noch mit Witz zu tun wie Fritz
Teufel, war eine historische Leistung. Zumal ihm der Mut
vor Richterstühlen sicherlich genausowenig anerzogen war
wie unsereinem.
Fritz Teufels Zivilcourage war erst mal eine für die
"Inländer", für mehr demokratische Staatsbürger.
Wenn heute immer noch oder schon wieder Zivilcourage für
Ausländer oder Minderheiten mobilisiert werden muss, ist
das vielleicht ein Indiz, dass wir mehr von seiner Sorte
gebraucht hätten. Zumal Teufels Zivilcourage von seiner
wichtigsten Waffe nicht zu trennen ist: seinem Mutterwitz.
Teufels schlichter Satz "Wenn es der
Wahrheitsfindung dient" hat Geschichte gemacht. Für
schöpferische Aktivitäten dieser Art wird ihr Urheber
jetzt mit einem neugeschaffenen Preis geehrt.
P.S.: Mein 25-jähriger Neffe, frisch examinierter
Jurist, hat von meiner Beteiligung am Wolfgang-Neuss-Preis
gehört und ruft mich an: "Sag Herrn Teufel bitte von
einem eher konservativen Rechtsmenschen, dass ich seinen
Satz mit der Wahrheitsfindung bewundere." Man soll
die Hoffnung nie aufgeben. Und den Humor nicht verlieren.
Jürgen Hofmann, Professor für Szenisches Schreiben an
der Berliner Hochschule der Künste, ist einer der
Initiatoren des "Wolfgang-Neuss-Preises für
Zivilcourage". Der mit 10 000 Mark dotierte Preis
wird heute um 11.30 Uhr in der Akademie der Künste,
Hanseatenweg 10, an Fritz Teufel verliehen. Die Laudatio hält
Hans-Christian Ströbele.
Tagesspiegel
vom 14.1.2001