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"Schönheit mit Sinn"

Von Rheinische Post -Korrespondent FRANK HERRMANN


LONDON. Die neue Miss World spielt Blockflöte, als sonstige Hobbys nennt sie Ballett und Bauchtanz. Vor allem aber verkörpert Azra Akin eine aufregende Mischung von Orient und Okzident. Vielleicht war es das, was letztlich den Ausschlag gab.

Die Schönheitskönigin stammt aus der Türkei und wuchs als Tochter von Auswanderern in den Niederlanden auf. Seit sie vier ist, nimmt sie Ballettstunden. Und diplomatisch ist sie auch. Mit vollendetem Charme stellte Akin ihr Geschick unter Beweis, als man sie nach dem tragischen Schlüsselereignis der diesjährigen Miss-World-Wahl fragte, den blutigen Unruhen in Nigeria, wo die Show ursprünglich steigen sollte. "Natürlich war ich schockiert, als das passierte." - "Ich hoffe, die Leute zeigen jetzt mehr Respekt füreinander." - "Ich hoffe, ich kann etwas bewirken. Aber ich bin ja nur eine Person."

Antworten, die der Jury gefielen, weshalb Azra Akin vor Miss Kolumbien, Natalia Peralta, und Miss Peru, Marina Mora Montero, gewann. "Schönheit mit Sinn" lautete, politisch korrekt, das Motto des Glitzer-Events im Alexandra Palace, einer viktorianischen Ausstellungshalle im Norden Londons. Weg von der Fleischbeschau, hin zu mehr Intellekt, sollte das heißen. So trippelten die 92 Bewerberinnen nicht nur im Abendkleid über die Bühne, sondern gaben auch Einblick in ehrgeizige Lebensplanungen.

"Zurzeit studiere ich Biologie und Ernährungswissenschaft in Oxford", erzählte Miss England. Ihre Ziele? Ein erstklassiger Abschluss. Eine Fremdsprache fließend sprechen. Gitarre lernen. Miss Türkei, die Siegreiche, die am Tag nach dem Triumph 21 Jahre alt wurde, will Kunst und Design studieren. Miss Simbabwe dagegen verspielte ihre Chancen durch einen allzu ehrlichen Satz: Sie nannte Babysitten als ihre Leidenschaft. Zu bieder, zu hausmütterlich für die Maßstäbe des Jahres 2002. Fernsehsender übertrugen die Gala in 142 Länder. Nach Angaben von Miss-World-Chefin Julia Morley saßen zwei Milliarden vor den Bildschirmen, doch im Austragungsland war das Interesse der TV-Stationen herzlich gering. Kein britischer Kanal strahlte die Kandidatinnenkür aus.

"Diese Mädchen tragen Badeanzüge, von denen Blut tropft", polterte die englische Feministin Muriel Gray, eine streitbare Autorin. Auch der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone ging mit den Veranstaltern scharf ins Gericht. Es sei zynisch, den Wettbewerb an der Themse auszutragen, nachdem er "Unglück und Unruhe" über Afrika gebracht habe.

Ursprünglich sollte Miss World im November in Nigeria gekrönt werden, der Heimat von Agbani Darego, die vor Azra Akin das Zepter schwang. Doch erst liefen muslimische Prediger Sturm gegen das Spektakel, und dann schrieb die junge Journalistin Isioma Daniel im "This Day" in Lagos einen polemischen Kommentar. Der Prophet Mohammed hätte die Miss-Wahl sicher gebilligt, er hätte wahrscheinlich sogar eine der Schönen geheiratet, argumentierte sie. Kaum war der Artikel gedruckt, brachen in der nigerianischen Stadt Kaduna heftige Unruhen aus. Über 200 Menschen kamen ums Leben, die Miss-World-Kandidatinnen wurden kurzerhand nach England geflogen.

Inzwischen haben Fanatiker gegen Isioma Daniel eine Fatwa verhängt. Das religiöse Rechtsgutachten ruft gläubige Muslime dazu auf, die Journalistin wegen Gotteslästerung zu töten - eine Fatwa, die an das Vogelfrei-Urteil Khomeinis gegen den Schriftsteller Salman Rushdie ("Satanische Verse") erinnert. In London, am Rande der Glamour-Show, legte sich Morley, die Initiatorin, für die bedrohte Autorin ins Zeug. "Ich möchte Nigerias Moslems bitten, ihr zu verzeihen. Sie hat sich entschuldigt. Vergebt ihr."

Aus ihrer Heimat erhielt die neue Miss World überschwängliche Glückwünsche. "Als Türkin schwillt mir voller Stolz die Brust", schrieb die türkische Tourismus-Ministerin Güldal Aksit in einem Telegramm. Ministerpräsident Abdullah Gül lud sie gar in seinen Amtssitz ein und teilte mit, das Land sei ebenso stolz und glücklich wie sie selbst.

Montag, 09.12.2002