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Bommi Baumann, Günter Langer:

Bodo,
der „Superkultur-“athlet

Ku-Damm 140. Halbruine. 2. Stock. Das legendäre „Zentrum“ des Berliner SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.

Wir schreiben das Jahr 1968, das Jahr, in dem Martin Luther King jr. in Memphis angeblich von James Earl Ray ermordet wurde, eine Woche vor dem Attentat auf Rudi Dutschke eben dort vor dem SDS-Zentrum auf dem Ku-Damm, Unruhen in allen großen Städten der USA, die berühmt-berüchtigten Oster-Unruhen in Berlin und anderen Städten der Bundesrepublik. Kurz vorher die legendäre Tet-Offensive des Vietcong, bei der die US-Bevölkerung lernte, was eine nationale Befreiungsbewegung in der Dritten Welt zu erreichen vermag. Wenig später der Mai-Aufstand in Paris und ganz Frankreich. Prager Frühling und und und ...

Das „Zentrum“ war berühmt im (West-)Deutschland jener Tage: Von hier aus wurde der Vietnam-Kongreß organisiert, hier wurde der 2. Juni vorbereitet, die Unruhe an den Berliner Unis, hier fanden die Jours fixes des SDS statt, der Gruppe, die sich als Avantgarde der „deutschen Studentenbewegung“ sah. Neben den Büro- bzw. Versammlungsräumen gab es dort auch Zimmer, in denen SDS-GenossInnen wohnten. Die Adresse machte die Runde. Es wirkte wie ein Magnet, es zog die verschiedensten Leute an. Da kam zum Beispiel der „Bluesbreaker“, ein wirrer Mensch, der sich sogar zeitweilig Schuhcreme als Rauschmittel zuführte. Es kam Hajo, ein runaway kid, das fürchtete, von seinem Vater ins Heim gesteckt zu werden, später als „Tröpfchen-Hajo“ stadtweit bekannt als Dealer der Berliner Tinke, einer Heroinlösung, der viele Fixer verfallen sollten. Unterschlupfsuchende Wehrpflichtige steuerten das „Zentrum“ an wie Manfred Grashoff, der später als RAF-Mitglied bekannt wurde. Desertierende GIs tauchten auf und benötigten Papiere zum untertauchen. Die GenossInnen des SDS halfen diesen Leuten, so gut sie konnten, sie gaben ihnen Ratschläge, Essen, Schlafmöglichkeiten oder was sie sonst so brauchten.

Auch Bodo Saggel, ein Mann aus Essen, fand sich in diesem revolutionären Jahr im „Zentrum“ ein. Unschlüssig was er nach seiner Knastentlassung machen sollte, trieb er sich auf dem Essener Bahnhof herum und las den „Spiegel“, die Nummer mit dem Rudi Dutschke-Aufmacher. In dem Artikel wurde das „Zentrum“ unter Angabe der Ku-Damm-Adresse erwähnt. Das war’s.

Bodo brauchte keine Hilfe, Bodo war beeindruckt von diesen sich revolutionär gebärdenden StudentInnen, weil sie seiner Meinung nach für Gerechtigkeit in dieser sonst so ungerechten Welt eintraten. Das war genau auch sein Anliegen. Wo hatte er schon Gerechtigkeit bislang erfahren? 10 Jahre Knast für ein Eigentumsdelikt war keine Gerechtigkeit, soviel war ihm sicher. Das verstanden auch die SDSler. Bodo stellte sich auf einer stark besuchten Versammlung vor. Er wollte mitmachen. Die GenossInnen waren’s zufrieden. Sie akzeptierten ihn als Vertreter des sonst so unbekannten Proletariats, der nach Marx revolutionären Klasse. Bodo zog ins „Zentrum“ ein und begann, seine Knasterfahrungen aufzuschreiben. Die Genossen waren solidarisch, sie halfen ihm, die Texte im Selbstverlag zu drucken und herauszugeben. Kein etablierter Verlag traute sich, ein solches Buch ins Programm zu nehmen. Bodo hatte Erfolg: Die Jura-Studenten, Referendare und linken Anwälte lasen die Texte wie Offenbarungen aus einer anderen Welt. Auf diesem Wege nahm Bodo Einfluß auf die damals in Schwung kommende „Justizkampagne“ der APO.  Der heutige Präsident des Berliner Verfassungsgerichts und damalige Partner von Horst Mahler und Christian Ströbele in der ersten „sozialistischen Anwaltskanzlei“, Klaus Eschen, schrieb ein Vorwort, das noch heute bedenkenswert ist. Das Cover zeichnete „Löffel“, ein Haschrebell, der später davon lebte, Geldtransporter zu überfallen und sich im Knast das Leben nahm, nachdem Beweise gefunden wurden, daß er einige Transporteure umgelegt hatte. Aber so richtig verstanden sich die an Marx, Bakunin und Marcuse geschulten SDSler und der an Nietzsche geschulte Knacki Bodo nicht. Sie lebten nebeneinander her bis der SDS zerbrach und sich die Antiautoritären in Kommunen neu zusammenfanden. Es entstand die linke Subkultur und verband sich in Teilbereichen mit der sonstigen Jugendsubkultur. Die Haschrebellen traten auf den Plan. Bodo wurde einer von ihnen...

Bei den Haschrebellen mußte sich niemand für sein Tun oder für sein Nichtstun rechtfertigen. Totale Freiheit war angesagt, jegliche Unterdrückung verpönt, Hierarchien absurd. Hippietum und soziale Revolution. Anarchie wurde antizipiert, Drogen nicht länger verteufelt. Der Staat mit seiner Anmaßung über das Konsumverhalten freier Individuen bestimmen zu wollen, hatte ausgespielt. Mao Tse Tungs Gezeter über „die Mentalität umherschweifender Rebellenhaufen“ wurde in sein Gegenteil verkehrt: Der soziale Rebell hatte immer recht. Bodo war ein sozialer Rebell. Endlich konnte er Gleicher unter Gleichen sein jenseits des Knastologenmilieus. Die neu entstehenden „proletarischen“ Parteien hatten bei Bodo keine Chance. Selbst nach dreißig Jahren sind die Haschrebellen nicht tot, gibt es keine Nostalgie, lebt Bodo ihre Philosophie.

Bodo wurde unser Freund, unser Mitrebell, lebte mit uns zusammen, blieb konsequent unseren Prinzipien treu, selbst als wir von ihnen zeitweilig abwichen. Keine Abwege in die Guerilla, keine Integration ins normale Berufsleben. Freiheit und Gerechtigkeit forever. Forever young. Bodo wird bald 60, aber noch immer nicht resigniert, immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, neuen Erfahrungen. Wer fährt schon mit einem klapprigen alten Bus allein in die entferntesten Täler des Atlasgebirges und läßt die dortige Welt monatelang auf sich einwirken, nur um zu sich selbst zu kommen?

1969 plante der „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“ eine Veranstaltung im TU-Audimax. Es sollte eine Manifestation der Freiheit werden mit Unterstützung der Band „Agitation Free“. Die Ziele unterschiedlichster Befreiungsgruppen dieser Welt sollten vorgestellt werden, Bodo wollte die Justizkampagne voranbringen. Heimlicher Plan: Wir wollten einen Koitus öffentlich zelebrieren und dabei Joints rauchen. In der Nacht vor dem Ereignis gab’s irgendein Attentat oder Bankraub und wir glaubten, die Bullen hätten’s auf uns abgesehen. Wir blieben inkognito, der Koitus fiel aus. Bodo mit seiner Vorstellung der „Superkultur“ und Ludwig mit seiner exzellenten Musik retteten den Abend. Trotz unserer Feigheit konnten wir für die Haschrebellen einen Erfolg verbuchen.

Bodo war immer stark wie ein Bär. Beim Armdrücken in der Wieland-Kommune mußten wir zu dritt gleichzeitig gegen ihn antreten, um überhaupt eine Chance gegen ihn zu haben. Er setzte seine Stärke aber nur zum eigenen Schutz ein oder wenn er Schwächeren zu Hilfe kam.  Vor dem „Unergründlichen Obdach für Reisende“, dem absoluten Szene-Treff am Fasanenplatz der Jahre 69/70, meinten einige gut bepackte Fieslinge, ihre Freundinnen verprügeln zu müssen. Bodo zögerte keinen Augenblick, ging auf den ersten los, versetzte ihm einen Hieb, griff sich den zweiten und tat mit dem das gleiche, der dritte rannte sofort davon. Die jungen Frauen waren ob solchen Schutzes baß erstaunt, brachten es aber nicht fertig, sich wenigstens für diese Hilfe zu bedanken. Bodo hatte das aber auch gar nicht erwartet, er war mit sich und der Welt zufrieden.

Genosse Erich Langer, mehr als dreißig Jahre älter als wir alle, hatte einen Ein-Mann-Fuhrbetrieb und brauchte Hilfe. Bodo und er schlossen Freundschaft. Das ungleiche Paar arbeitete jahrelang zusammen. Erich organisierte die Fuhren und Bodo schippte die Kohlen, die Schlacke oder was es sonst so gab. Irgendwann hatte Bodo jedoch genug von Berlin. Er zog sich zurück aufs Land, kaufte sich ein Haus in Lüchow-Dannenberg. Jetzt ist er wieder in Berlin, in Kreuzberg, quicklebendig wie eh und je.

Sein Buch "Der Antijurist oder die Kriminalität der schwarzen Roben & Bruchstücke aus meinem Leben" ist erschienen 1998 im Karin Kramer Verlag, Berlin.