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Systemwechsel, sehr praktisch

 

Die Auseinandersetzung über das Otto-Suhr-Institut in Berlin und die Spuren von 1968

Von Pitt von Bebenburg

BERLIN. Die Studentenproteste von 1968 liegen weit zurück, aber die Erinnerung daran kommt unweigerlich zurück im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin. Der Hörsaal A ist völlig überfüllt, die Stimmung im wahrsten Sinne des Wortes aufgeheizt.

An diesem Dienstagabend haben die Studenten des Berliner Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft endlich Gelegenheit, den Verantwortlichen für die tiefen Einschnitte am OSI die rote Karte zu zeigen. Davon machen sie ausgiebig Gebrauch.

Seit Monaten wird diskutiert, werden Papiere verfasst und verabschiedet. Klar ist: Am seit 1968 legendären OSI wird es drastische Einschnitte geben. Deshalb haben bereits im Dezember Studenten für zwei Tage ihr Institut besetzt.

Es geht um viel, und deshalb geht es hart zur Sache. Hinten halten zwei Studenten drei Stunden lang ein Transparent mit drastischer Aufschrift hoch: "Intelligenz ausrotten - Polpotisten für Stölzl". Vorne sitzen Wissenschaftssenator Christoph Stölzl, Universitätspräsident Peter Gaethgens und die beiden Protagonisten des Richtungsstreits innerhalb des OSI, Institutsleiter Eberhard Sandschneider und Professor Peter Grottian. Dazwischen ungefähr 600 Studentinnen und Studenten, die die Äußerungen der Redner je nach Gefallen mit roten, gelben oder grünen Karten bewerten.

1968 ist weit weg, aber die Erinnerung an die Jahreszahl fehlt in keiner Debatte über die Zukunft des OSI. Wenn Senator Stölzl von dieser Ära spricht, kommt er geradezu ins Schwärmen. Das Institut habe "eine zentrale Politikberatungsfunktion, fast ein Monopol" gehabt - damals. Doch "egal, wie ruhmreich die Vergangenheit ist": die Zeiten seien vorbei, sagt Senator Stölzl unverblümt. "Wenn man 1968/69 geglaubt hat, der Schlüssel zur Lösung aller gesellschaftlichen Probleme liege im Studium der Politologie, so hat sich das geändert." Es sei doch "mit Händen zu greifen", dass die Musik heute anderswo spiele, Stichwort: "Aufstieg der Naturwissenschaften".

Peter Grottian, der 68er, schüttelt den Kopf. Ein solcher "Paradigmenwechsel" in der öffentlichen Wahrnehmung zwinge doch nicht zur entsprechenden Umverteilung an der Uni, rügt er. "Fragen Sie doch mal, was die Naturwissenschaften zur Geschlechterdemokratie zu sagen haben, was die Naturwissenschaften zum Nahostkonflikt zu sagen haben." Die Politologen am OSI hätten keinen Anlass, sich "das Rückgrat zu verkrümmen gegenüber irgendwelchen Naturwissenschaftlern, die meistens von der Industrie gut gesponsert werden", wettert Grottian.

Ein Zurück zu der Zeit, als der Name des Instituts als Synonym für die Studentenbewegung stehen konnte, wird es nicht geben. Die Frage lautet, ob an die Tradition der politisch einflussreichen, sozial engagierten Hochschule angeknüpft werden soll - oder ob dies obsolet ist. Professoren wie Grottian, die sich ausdrücklich in die 68er Tradition stellen, haben dabei schlechte Karten auf der politischen Ebene. Ihr Ärger darüber ist groß. Er sei, warnte Professor Peter Grottian den parteilosen Wissenschaftssenator Stölzl, "mit einigen Kollegen am Überlegen, ob wir als Beamte und Hochschullehrer die Arbeit niederlegen, weil wir das für so dramatisch halten". Protestierende Studenten schreiben derweil die "Chronik eines angekündigten Todes".

Auch wenn das letzte Wort darüber noch aussteht, wie die Sparvorgaben an der Freien Universität umgesetzt werden: Alle wissen mittlerweile, dass dem Otto-Suhr-Institut ein gewaltiger Umbruch bevorsteht. Auslaufende Professuren werden nicht mehr neu besetzt - und es sind in der Regel Hochschullehrer aus der Generation der 68er, die damit ausscheiden. Von einst 49 Professoren sind heute noch 26 in dem Dahlemer Institut tätig, und angepeilt ist eine Reduzierung auf 14 Stellen. Dagegen richten sich Proteste von Studenten und einigen Hochschullehrern - und zugleich gegen Pläne, die Abschlüsse und die Inhalte grundlegend umzukrempeln.

Diese Pläne hat eine Professoren-Mehrheit am OSI um Institutsleiter Sandschneider erarbeitet und im Institutsrat verabschiedet. Im Vordergrund steht dabei die Absicht, die Studienzeiten zu verkürzen und die internationalen Studiengänge Master und Bachelor zu forcieren. Es sei "erschreckend, wie Sie dem amerikanischen Modell hinterherlaufen", hat Grottian dazu angemerkt.

Süffisant lächelnd sitzt Sandschneider in Anzug und Krawatte auf dem Podium, grummelnd und hemdsärmelig sein Kollege Grottian. Sandschneider, der mehrere Bücher mit dem Titel "Systemwechsel" veröffentlicht hat, weiß, dass er gegenüber dem Kollegen Grottian, der als Experte für Jugendprotest gilt, politisch im Vorteil ist.

Protestierende OSI-Studenten sprechen von "neoliberalen" Konzepten, sehen eine Unterordnung unter Bedürfnisse der Wirtschaft und urteilen: "Die kritische Wissenschaft soll abgeschafft werden." Sie befürchten eine Verschulung des Studiums. Eine lange Liste prominenter linker Unterstützer hat inzwischen zum "Erhalt des Otto-Suhr-Instituts und seiner kritischen Wissenschaft" aufgerufen. Zu ihnen zählen Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine und der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche, Bundestagsabgeordnete der Grünen wie ihr Hochschulpolitiker Matthias Berninger und PDS-Politiker wie Andre Brie.

Die Studenten wissen, dass der Kampf um das OSI in der deutschen Hochschul-Landschaft Symbolcharakter hat. Nicht nur, weil weiterhin mehr als jeder vierte Politologe seinen Abschluss an dem Institut in Dahlem macht. Bei ihrem Aktionstag am heutigen Donnerstag ab 10 Uhr geht es deshalb auch keineswegs nur um Stölzls Pläne und die unmittelbare Zukunft der Hochschulen. Die Arbeitsgruppen haben sich auch den Rückblick auf das legendäre Jahr 1968 und die Rolle des damaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes vorgenommen. Daraus wollen sie "Lehren ziehen" und die Frage beantworten: "Wie können wir Studierende unsere Interessen durchsetzen?" Stölzl müsse mit "Überraschungen" rechnen, haben sie bereits bei der Podiumsdiskussion angekündigt. Viele Studenten sind weit davon entfernt zu hoffen, dass Diskussionen mit den Verantwortlichen allzu viel ändern könnten. Nach einigen ablehnenden Signalen hatten sie deshalb gar nicht versucht, alle Beteiligten zum Gespräch zu gewinnen. So war es letztlich das Magazin "Der Spiegel", das die Podiumsdiskussion in dieser Woche organisierte und zusammen mit Studenten vorbereitete.

1968 ist weit weg am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Eine kleine Meldung machte das dieser Tage deutlicher als alle Diskussionen und Proteste. Zehn frühere Studenten teilten mit, sie hätten sich unter dem Namen "OSI-Club" zusammengetan, um ein Netzwerk für die Ehemaligen zu schaffen, zugleich aber den gegenwärtig Studierenden bei der "Berufseinfädelung" zu helfen. Wer hätte damit im Jahre 1968 zu tun haben wollen?

(Informationen unter www.1zu0.de sowie www.osi-club.de )

 Frankfurter Rundschau vom 25.1.2001