War die einzig signifikante Eigenschaft der Spontis wirklich
ein Hang zur Gewalttätigkeit? Diese nachträgliche Analyse
einiger Agitprop-Kämpfer aus dem Deutschen Bundestag klingt
doch ziemlich unhistorisch und nachgerade beleidigend schlicht.
Nein, Spontis waren wesentlich vielseitiger. Das lässt sich
schon aus der Begleitmusik jener Tage erkennen. Zwar hatte etwa
die Rockgruppe Ton Steine Scherben, seinerzeit eine Art
offizielle Hofkapelle der Sponti-Bewegung, den Song „Macht
kaputt, was euch kaputt macht“ im Repertoire, der nun gern
zitiert wird. Aber das war nicht rein materiell zu betrachten
– was „kaputt machte“, war auch das feindselige Unverständnis
einer Gesellschaft unseren Fragen gegenüber. Und die
eigentliche Sponti-Hymne hieß: „Keine Macht für niemand.“
Stammesgeschichtlich ist der Sponti ein Zerfallsprodukt aus
der Studentenbewegung. Doch könnten heute zwei Alt-Spontis
vermutlich tagelang darüber diskutieren, ob sie die einzigen
wirklichen 68er waren oder gerade das Gegenteil davon. Schon
Sokrates war vielleicht ein Sponti, auch der Komiker Wolfgang
Neuss kann als früher spontifex maximus gelten, und natürlich
gehört Fritz Teufel in den Club. Zu Beginn der siebziger Jahre,
als der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) faktisch
zerfallen war, hatten sich allerlei sogenannte „K-Gruppen“
gebildet, die – ideologisch gefestigt – auf diverse
Spielarten des real existierenden Sozialismus schworen. Sie
nannten sich „MSB Spartakus“, „KPD/ML“ und „KPD/A0“
(phonetisch A-Null) und sahen ihr Heil in Albanien, China oder
der Sowjetunion. Dazwischen klemmten die Vorläufer der späteren
Spontis, Leute, die lieber ihren eigenen Kopf strapazierten als
die Lehren von Mutter Partei. Den großen Chinesen nannten sie
„Mao Seezunge“, langweilige Demo-Parolen verhöhnten sie in
der Essenz: „Hoch mit, nieder mit, vorwärts zum, bum, bum
bum.“
Einer, dessen Kopf erstaunlich komplizierte Überlegungen
hergab, war Hans-Jürgen Krahl in Frankfurt, ein Schüler von
Theodor Adorno. Alt-Spontis berichten, wie sie einst in
Frankfurt Seancen bei Kerzenschein und Haschischduft erlebten,
wobei sie zur Hintergrund-Musik von Leonard Cohen ergeben über
den Sinn einzelner Krahl-Erkenntnisse knobelten. Krahl starb
1970 bei einem Autounfall, doch Frankfurt entwickelte sich zur
Hauptstadt der Bewegung. Zwar wurden auch in Berlin Spontis
gesichtet (vereinzelt sogar in München), ihr wichtigstes
Siedlungsgebiet aber blieb die südhessische
Mittelgebirgslandschaft. Das mag an der Frankfurter Schule
gelegen haben, den Hessischen Rahmenrichtlinien und am sauer
gespritzten Apfelwein, den es so billig nur im Einzugsgebiet der
Wetterau gab („Unser David Bowie heißt Heinz Schenk“,
sangen die Rodgau Monotones). Den Vordenkern der
Frankfurter Schule, ob Max Horkheimer, Adorno oder Herbert
Marcuse, war es mit einem hinreichend komplizierten,
psychoanalytisch-marxistischen Vokabularmix weitgehend gelungen,
ihre Schüler gegen orthodoxe Ideologien zu immunisieren. Dass
Adorno später einmal fluchtartig die Vorlesung verließ, weil
ihm junge Studentinnen ihre blanken Busen zeigten, muss in
diesem Zusammenhang als Erziehungserfolg gewertet werden, schließlich
galt in Adornos Ästhetik der Schock als wichtiger Auslöser von
Reflexionsprozessen.
Ähnlich nachhaltig auch die Wirkung der Hessischen
Rahmenrichtlinien, einer Gesetzesinitiative in der
Bildungspolitik, die womöglich dazu beitrug, einer Generation
von Schülern wichtige Lerndaten („333 bei Issos Keilerei“)
vorzuenthalten, während die Kinder stattdessen die Fähigkeit
erwerben sollten, „konfliktbewusst gesellschaftliche Zusammenhänge“
zu erfragen, etwa die Erfahrungen ihrer Eltern in der Nazizeit.
Letzteres war freilich kaum möglich mit dem damaligen
Lehrpersonal: Unter meinen Gymnasiallehrern erinnere ich mich an
mindestens drei bekennende Altnazis. Überhaupt war das Klima
damals keineswegs so demokratisch und freiheitlich, wie es
anscheinend jenseits der Mauer für Altersgenossen wie Angela
Merkel aussah. Von den beiden angesehensten Ärzten in meiner
kleinen Heimatstadt war der eine SS-Hauptsturmführer gewesen,
der andere hatte seine Karriere im Frankfurter Institut für
Rassenhygiene begonnen. Als darüber ein Schulkamerad in einer
Fernsehsendung Auskunft gab, sollte er kurzerhand von der Schule
fliegen.
Die Sponti-Bewegung war deshalb auch ein Aufbegehren dagegen,
dass unsere Eltern niemals ihre Rolle während der Nazizeit erklärt
haben. Ständig lag ein Nebel über diesen Dingen, keiner hatte
was gesehen, und doch saßen viele Ehemalige in verantwortlichen
Posten in der Justiz, in der Verwaltung, in großen Firmen.
Sicher: Wir haben damals völlig falsch, nämlich anklagend,
gefragt. Aber es ist kein Zufall, dass viele Details über
Firmen wie Daimler-Benz, Degussa und die Deutsche Bank erst
heute durch Forschungsarbeiten herauskommen – solange noch
Vertreter der aktiven NS-Generation lebten, wagten die Firmen
nicht, ihre Archive zu öffnen. Dass es nach dem Krieg noch
einen anderen, kommunistischen Staat gab, war äußerst
hilfreich für den Verdrängungsmechanismus. Wann immer über
Missstände, auch solche der Gegenwart, diskutiert wurde, wurden
die Gespräche mit dem Hinweis beendet: „Geh doch in die
DDR“.
Spontis waren keine Kommunisten. In unserer Wohngemeinschaft
galt das Programm: „You don’t need Mario Tronti to be a
little Sponti, but you need Karl Marx to tell the whole day
Quarcks.“ Tronti war ein italienischer Theoretiker, der kaum
verständlicher als die Frankfurter die „Autonomie des
politischen Subjekts“ predigte und damit die völlige
Unorganisiertheit des Individuums.
Von den „Berufsverboten“ gegen Kommunisten, welche die
SPD/FDP-Regierung beschlossen hatte, fühlten sich Spontis nicht
allzu sehr tangiert. Ihre Antwort war ein „Tunix“-Kongress,
auf dem alternative Berufe diskutiert wurden, beispielsweise die
amerikanischen- Food-Kooperationen, Vorläufer der heutigen
Bio-Läden. Als Helden der Arbeit im normalen Leben galten etwa
die Frauen in der Verpackungsabteilung einer südhessischen
Fabrik für Kartoffelchips, die angeblich noch schnell in die
offene Chip-Tüte spuckten. Man schaute nach Italien zum
„autonomen“ Fiat-Arbeiter und bewunderte die Mitarbeiter
eines amerikanischen Auto-Herstellers, die auf dem Teststand
angeblich ihre soeben montierten Motoren zum Bersten brachten.
Dergleichen Heldentaten wurden in den Sponti-Blättern jener
Jahre ausgebreitet, die „Wir wollen Alles“ hießen und
„Autonomie“. Lang, lang ist’s her: Jetzt gilt die FAZ
als Zentral-Organ der Frankfurter Rest-Sponti-Szene –
jedenfalls ihr Feuilleton.
Kernzellen des Sponti-Alltags waren einst die
Wohngemeinschaften. Man lebte mit vier, sechs oder zehn Leuten
zusammen, diskutierte zwischen dreckigem Küchengeschirr die Nächte
durch über Beziehungskisten oder tanzte sich in der Disko die
unerfüllte Libido matt. Wer wusste da schon, wer wen zum
Schlafen mitbrachte? In den Fluren stand meistens einiger Unrat
herum, blaue Bände stapelten sich in Apfelsinenkisten, nur auf
das Design des Fußabtreters wurde mancherorts Wert gelegt:
Beliebt war es, ein Tuch mit dem Konterfei Stalins um die Fußmatte
zu wickeln, weshalb jeder Bewohner täglich mehrmals den Kopf
des Genossen Stalin mit Füßen trat. Im Sponti-Jargon wurden
die zur DDR orientierten Kommunisten DKPisser genannt; zuweilen
revanchierten diese sich auf öffentlichen Veranstaltungen mit
dem Hinweis: „Ihr seid die Ersten, die wir liquidieren, wenn
wir an der Macht sind.“
Der Häuserkampf war in vollem Gang, Frankfurt sah kriegsähnliche
Szenen, Gewalt gab es auf beiden Seiten. Nachts wurden die
Besetzer der zur Räumung anstehenden Häuser mit
Scheinwerferbeleuchtung mürbe gemacht. Mein Vater, der damals
im Innenministeriums gewissermaßen als Vorgesetzter des
Frankfurter Polizeipräsidenten Knut Müller fungierte, erzählte
mir später stolz, wie man diese neuen Tricks erfunden habe.
Damals entstand die Kesseltaktik, auch wurden den Polizisten,
die teils von weit her zum Einsatz kamen, häufig
Horrorgeschichten über die Demonstranten erzählt. Viele
Polizisten waren schon allein aus Angst recht schnell aggressiv.
Aktivisten der Frankfurter Szene legten sich jetzt sogenannte
„Tiefschützer“ aus dem Sportgeschäft zu, angeblich hatte
ein Demonstrant nach einer Prügelei einen Hoden verloren. Mir
sind nach einer polizeilichen Behandlung mal wochenlang büschelweise
die Haare ausgefallen.
Der echte Sponti kehrte schnell zum Nonsens-Aktionismus zurück.
Tage nach der gewaltsamen Auseinandersetzung zum Tod von Ulrike
Meinhof im Mai 1976, wo jene berüchtigten Molotow-Cocktails
geflogen waren und ein Polizist lebensgefährlich verletzt
wurde, demonstrierten wir schon wieder friedlich vermummt mit
lila-blauen Karstadtmützchen über den Opernplatz. Diesmal aus
Mitgefühl für den zuvor verhafteten vermeintlichen
Molotow-Werfer Gerhard Strecker. Ideologisch fühlte sich ein
Sponti meilenweit von den bewaffneten Untergrundtätern der RAF
entfernt, die sture Leninisten waren. Doch Solidarität schien
damals Ehrensache. Es reisten auch zahlreiche Emmissäre der RAF
durch die Szene, um Leute zu rekrutieren. Sie übten erheblichen
moralischen Druck aus, fragten etwa nach Pässen für aus dem
Gefängnis getürmte Terroristen. Wer damals aus falsch
verstandener Hilfsbereitschaft zusagte, dessen Leben konnte eine
furchtbare Wende nehmen. Unter den Wortführern der Frankfurter
Häuserkämpfer ist Joschka Fischer seinerzeit nicht
aufgefallen. Später habe ich ihn mal in einem Stadtteilbüro
gesehen, mir ist ein knurriger Miniatur-Macho im Gedächtnis
geblieben. Mitte der Siebziger begannen die Atom-Proteste, die
Friedensbewegung formierte sich – viele Spontis gingen darin
auf. Die langweiligeren Spontis versöhnten sich irgendwann mit
den K-Grupplern und gründeten die Partei der Grünen. Bald
brach der alte Konflikt wieder auf, nur dass die Spontis jetzt
Realos hießen und die K-Gruppler Fundamentalisten.
Ich hatte mich seit langem fern von den alten Sponti-Kreisen.
Mitte der achtziger Jahre traf ich im Hessischen
Umweltministerium auf Fischer und seine Grünen. Anfangs
gerierte sich der Trupp noch ziemlich dilettantisch, und Paul
Leo Giani, damals Chef der Hessischen Staatskanzlei und ein
Bauherr der ersten rot-grünen Koalition, verbreitete die
Theorie: Letztlich seien die Grünen nur das Ergebnis eines großen
Beförderungsstaus der jüngeren Generation, die nun ihre
verpassten Chancen nachholen wolle. Ein Blickwinkel, den einige
Grüne im Ministerium stark beherzigten. Der Leiter von Fischers
Ministerbüro, Tom Koenigs, wurde jedenfalls in Rekordtempo
Beamter auf Lebenszeit.
Joschka Fischer war anders. „Bei dem hilft nur eins“,
hatte der Hessische Ministerpräsident Holger Börner erkannt:
„Man muss aus dem Wilddieb einen Förster machen.“ Das
scheint bis auf weiteres gelungen.
CHRISTIANE KOHL
SZ
24.1.2001