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FOCUS,
12.02.2001; Ausgabe:07; Seite:156-158 "Sex war nie wichtig für mich . . ." APO-Veteran und 68er Legende Rainer Langhans über
freie Liebe, Joschka Fischer und die Perspektiven der Techno-Generation FOCUS: Alle Welt spricht wieder über die Studentenbewegung der 60er Jahre. Sie sind einer der prominentesten Vertreter des damaligen Aufbruchs. Wie beurteilen Sie das neue Interesse? Langhans:
Ich glaube, die Dinge von damals sind heute aktueller als je zuvor.
Das Beste daran ist noch gar nicht angekommen. FOCUS Rückblickend
bezeichnen Sie sich als einen "Ergriffenen". Was ist
eigentlich vor zirka 33 Jahren passiert? Langhans:
Ich kam 1962/63 als Jura- und Psychologiestudent nach Berlin. Ich fühlte
mich lange total fremd und unangepasst in der Welt. Ich war ein Alien.
Aber ich wollte verstehen, was mich beunruhigte. So schaute ich mir in
Berlin die unterschiedlichsten Gruppen an und wählte schließlich den
"Argument-Club" aus. Das waren in meinen Augen die
intelligentesten Leute überhaupt. Ich verstand zwar nichts von ihren
komplizierten Diskussionen, aber ich ahnte, dass dort meine Probleme
verhandelt wurden. Die Themen hießen Kritische Theorie, Marxismus,
Psychoanalyse und so weiter. Später nannte man den Club "die
Kaderschmiede der Revolution", weil just dort die theoretischen
Grundlagen der ganzen APO-Bewegung gelegt wurden. FOCUS Waren
Sie Kommunist? Langhans:
Mich interessierte Politik gar nicht, "links" und
"rechts" waren mir egal. Ich wollte erkennen, was mit mir
los war. Ich hätte sonst vielleicht nicht überlebt. Einmal wäre ich
in meiner eiskalten Studentenbude fast erfroren - und das nicht
nur, weil da nicht geheizt wurde. Jetzt kann man natürlich sagen,
solche Gruppenerlebnisse hat es immer gegeben. Aber das hier war doch
ein besonderer Fall. Wir waren Protagonisten. Denn plötzlich
interessierten sich mehr und mehr Leute für genau die gleichen
Sachen. Woher kam diese Massenbewegung? Wer meint, dass da ein paar
Revolutionäre wirkten, trifft es nicht. Radikale, Spinner, Religiöse
oder Bohemiens gab es auch vorher, die hatten nur selten etwas
erreicht. Mein Schicksal war es, dass ich - scheinbar zufällig - zur
richtigen Zeit in der richtigen Gruppe war. Rückblickend sehe ich in
mir den Prototypen eines verzweifelten Suchers. Später lief das dann
auf die etwas popstarartige Existenz heraus, als die man mich
wahrnahm. FOCUS Gab es
ein Programm? Langhans:
Wir wollten einfach nur leben, lebendiger sein als unsere Eltern, die
im Muff der Erhard-Zeit vor sich hinfraßen. Aus Gründen, die ich
heute selbst nicht mehr verstehe, konnten wir das nicht länger
hinnehmen. Und wir wurden immer mehr. FOCUS Manche
Ihrer früheren Gefährten sehen sich heute kompromittiert, nicht
zuletzt wegen des damals gläubig vertretenen Neomarxismus. Langhans:
Es ging nicht um Neomarxismus. Wir merkten, dass wir mit etwas nicht
zurechtkamen. ! Was tut man dann? Man fängt an zu suchen. In Büchern,
in der Tradition, bei den Vätern. Bei der Rechten konnten wir wegen
des Nationalsozialismus nicht fündig werden. Also waren es die linken
Ahnherren, mit denen wir uns abgaben, der frühe Karl Marx, Herbert
Marcuse, die utopische Linke. Bilder für ein "Reich der
Freiheit" fanden wir nur dort. Dass wir links wurden, war also
eher historischer Zufall. Wir wollten nur Gefäße finden für das große
Unbehagen. FOCUS Sie
haben einmal gesagt, dass zeitgenössische Erscheinungen wie Internet
oder Love Parade mehr mit der 68er‑Bewegung zu tun haben, als
viele glauben. Wieso? Langhans: Jede
Erneuerung basiert auf einer kollektiven Erfahrung. Es muss ein
gesellschaftliches Feld da sein, auf dem sie möglich wird. Die
weltumspannende 68er Bewegung, die Vision universalen Verbundenseins
aller Menschen, wurde zum Urbild der postmodernen Kommunikation. Das
Internet ist die direkte Folge dieses damaligen
Generationserlebnisses. 1968 wurden in ekstatischen Zuständen
Feindbilder und Vorurteile abgeschafft und Freiheit hergestellt. Was
die Protagonisten 1968 vormachten, kann die Menge heute dank des Webs
wieder erleben. Am meisten wirkt sich dieser Wandel heute auf die
Wirtschaft aus. In den Konzernen ist der Umgang mit den Menschen schon
ganz anders als früher, die Hierarchien sind flacher. Es gibt den Abhängigen
nicht mehr. Für viele, die diese Evolution damals verpasst haben und
sie heute nachholen müssen, ist das ein schwieriger
Anpassungsprozess. Das Ziel ist eine nicht mehr profitorientierte Ökonomie,
eine Geschenk-Ökonomie. Die gegenwärtige Linke verkennt das. Sie
diskutiert nicht mehr, sie geriert sich als Besitzstandswahrer. Sie
macht, was sie früher selbst kritisierte. FOCUS: Solchen
Frontwechsel haben Sie sich erspart? Langhans:
Im Gegensatz zur Strategie der Grünen-Minister Joschka Fischer oder Jürgen
Trittin führte unser Marsch durch die inneren Institutionen. Die Love
Parade will genau das, was die Kommune 1 propagierte: ein gutes Leben,
alle lieben können - aber vor allem sich selbst. FOCUS: Würden
Sie sich als Esoteriker bezeichnen? Langhans:
Ich bin ein Politiker des Herzens. Mir ist das Herz wichtiger als der
Staat. Wer unsere Erfahrung nicht gemacht hat und sie auch nicht
nachholen kann, sieht das Herz der Menschen nicht mehr. Etatisten,
egal ob damals Rudi Dutschke oder heute Joschka Fischer, sind für
mich Leute, die Politik machen, aber nichts Wesentliches erreichen.
Man muss einfach das Zusammenleben der Menschen verbessern. Da kann
man natürlich wieder spotten: wie idealistisch, wie esoterisch! Du
musst mit dem Herzen der Menschen in Kontakt treten. Wenn das mehr
Leute täten, hätten wir nicht diese geschichtlichen Gespenster, die
unser Leben so erschweren - etwa die Neonazis auf der einen und die
gewaltbereiten Linksextremen auf der anderen Seite. FOCUS: Bei
Ihrem Namen denken die meisten sofort an das Matratzenlager der
Berliner Kommune 1. Da ließ sich ein struppiger Rainer Langhans immer
beim Liebesspiel mit der schönen Uschi Obermaier fotografieren. Bis
heute haftet Ihnen der Ruf eines genießerischen Sexgurus an, der zwar
viel von "freier Liebe" redet, aber in erster Linie an sich
selbst denkt. Langhans:
Ich weiß, was Sie hören wollen. Aber ich sage so: Wenn ein Mann von
Herz spricht, geht es a priori um sein Verhältnis zu Frauen, um sein
Verhältnis zum ganz Anderen. Politik beginnt zwischen den
Geschlechtern. Die kleinste Zelle des Staates, das sagen auch die
Konservativen, ist die Familie. Aus diesem Verhältnis entstehen alle
Institutionen. Wenn ich die Sinnlosigkeit begriffen habe, als Mann
etwas gewaltsam zu verändern, stoße ich auf die Frauen. Sie beschäftigen
sich mit dem Herzen, sie wissen etwas darüber. Muss ich dann
feststellen, dass vielleicht auch sie im Einzelfall ahnungslos sind,
bin ich auf mich selbst zurückgeworfen. Dann komme ich auf die Ebene
der Selbst- Begegnung. FOCUS: Haben
Sie sich seit 1968 gar nicht verändert? Stagniert Ihr Lebenslauf? Langhans:
Ich erzähle mir die eigene Geschichte immer wieder. Ich stelle
meistens fest, dass die erlebte Biografie immer anders und unbewältigt
erscheint. Das Verstehen ist sehr ängstlich und nachhinkend gegenüber
dem, was wirklich geschehen ist. Mir ist inzwischen klar, dass die
Dinge, die wir damals gesehen haben, erst jetzt zum Thema werden. Wir
haben einen Traum gehabt, der sich eben nicht einfach und in kurzem
Zeitraum in die Wirklichkeit transferieren ließ. Das braucht länger.
FOCUS: Und bis
dahin "Make Love, Not War"? Langhans:
Das Motto meinte immer mehr als Sexualität. Im Unterschied zum geilen
Spießer war Sex für uns nie dominant. FOCUS: Ist der
bald 61-jährige Langhans ein Opfer seines jugendlichen Enthusiasmus
geworden? Langhans:
Sagen wir lieber: Opfer einer göttlichen Erfahrung! Ich kann nicht so
resigniert sein, wie viele Leute sind und bleiben. Ich denke einfach:
Es geht, es geht! Wer einmal in die Sonne geschaut hat, kann kein
armes Schwein mehr sein. Dann stirbst du lieber. Du kannst nicht mehr
dahinter zurück. Ist das jetzt "arm dran"? Gut, dann ist
das "arm dran" . . . FOCUS: Einen bürgerlichen
Beruf haben Sie auch nie ergriffen - nicht mal ein rechter Künstler
sind Sie geworden. Andere Ihrer Art haben es bis zum Außenminister
gebracht . . . Langhans:
Ich lebe von Luft und Liebe - oder neudeutsch gesagt: virtuell und
connected. Ich brauche wenig und lebe nicht von der Fürsorge.
Eigentlich wollte ich Professor sein. Aber seit 68 will ich nur noch
werden, was ich bin. Ich bin damals in diese Sache hinein gestolpert,
ich weiß bis heute nicht, wieso. Aber es war das Beste, was mir
passieren konnte. FOCUS: Gibt es einmal einen Kurzhaar-Langhans? Langhans:
Wenn die Isar sich mit dem Ganges vereint . . . RAINER
LANGHANS Der heute 60-jährige
Esoteriker war Mitgründer der berühmten Berliner Kommune 1. VITA Geboren am 19.6.40 in Oschersleben; aufgewachsen in Jena; nach dem Dienst als Zeitsoldat Psychologiestudium in Berlin DIE GEGENWART
Lebt in München-Schwabing mit vier Frauen in einem "virtuellen
Harem" und vom Verkauf seiner Persönlichkeitsrechte Bild: MAKE LOVE . . . Die
Kommunarden Uschi Obermaier und Rainer Langhans 1968 mit freiem Oberkörper
auf dem Matratzenlager der Berliner Kommune 1 Bild: FESTNAHME Die
Berliner Polizei führt Langhans 1967 nach einer Solidaritätsdemo für
den inhaftierten Fritz Teufel ab Bild: ANSPRACHE Studentenführer
Rudi Dutschke redet im Dezember 1967 auf einer Versammlung in Köln
zum Vietnam-Krieg Bild: "Wir wollten einfach nur leben,
lebendiger sein als unsere Eltern . . ." RAINER LANGHANS Bild:
NACKTE TATSACHEN Das Protestfoto der Kommune 1 wurde zum Markenzeichen
der 68er-Generation; Langhans 5. v. I. Bild: ANGEKLAGT Fritz Teufel
(I.) und Langhans mit Anwalt Horst Mahler auf dem Weg zur Verhandlung
wegen Aufforderung zur Brandstiftung Bild: ROMANTIK Langhans unterhält
seinen Kommunenschwarm Uschi Obermaier mit geschicktem Saitenspiel auf
einer indischen Sitar, München 1971 "Wir wollten nur Gefäße
finden für das große Unbehagen" RAINER LANGHANS Bild:
"Damals Rudi Dutschke oder heute Joschka Fischer - das sind für
mich Leute, die Politik machen, aber nichts Wesentliches
erreichen" RAINER LANGHANS Autor: Roger Thiede FOCUS, 12.02.01; Words: 1511 |