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Tilman Fichter

Verfassungsschützer halfen die Apo zu kriminalisieren

Bezug: Spiegel Nr. 42/1980, Verfassungsschutz

Sie bezeichnen den Beamten des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz Peter Urbach zu Recht als „Agent provocateur". Die politische Verantwortung für die “nachrichtendienstliche Arbeit" dieses Agent provocateur klassischer Prägung trägt der Ex-Innensenator West-Berlins Kurt Neubauer (SPD), der für Urbachs Aktivitäten nie zur Verantwortung gezogen worden ist.

Im Winter 1966/67 kreuzte Urbach als proletarischer Rohrleger kostümiert zum ersten Male im damaligen SDS-Zentrum am Kurfürstendamm 140 auf und prahlte mit seinem angeblich anti-revisionistischen Kampf bei der von der DDR betriebenen S-Bahn herum. Als wir auf seine Sprüche „... und da habe ich einem stellvertretenden Stellwerkleiter eine Stinkbombe unter den Schreibtisch geworfen" desinteressiert, ja ablehnend reagierten, verlegte er seine Haupttätigkeit in die gerade entstehende Kommunenbewegung.

Anlässlich der Trauerfeier für Paul Löbe am 9. August 1967 machte sich Urbach für die Kommunarden unentbehrlich: Bei einem Treffen zwei Tage vorher schlug er den ratlosen Mitgliedern der Kommune I, die ein Happening planten, aber nicht wussten wie, die ,,Sargkiste" vor und besorgte auch zu-gleich die notwendigen Utensilien. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 erschien Urbach mit einem geflochtenen Weidenkorb vor dem Springer-Hochhaus, verteilte ein Dutzend Molotow-Cocktails und sprach systematisch Demonstranten an, mit denen er dann auf den Fuhrpark des Springer-Konzerns zog, Kleinlaster umwarf und mit den mitgebrachten Cocktails in Brand setzte.

In den kommenden Monaten nützte Urbach geschickt die wachsende Pogromstimmung gegen links im eingemauerten Berlin aus. Dem Apo-Anwalt Horst Mahler, der, durch zahlreiche Drohanrufe aufgescheucht, beim Innensenat einen Waffenschein beantragt hatte und natürlich keinen erhielt, besorgte er im Januar 1969 aus eigenem Antrieb eine belgische 7,65 mm FN-Pistole nebst Schulterhalfter. Am 26. Februar 1969, einen Tag vor dem Berlin-Besuch des damaligen US-Präsidenten Nixon, tauchte Urbach dann in den Geschäftsräumen des SDS-nahen Internationalen Nachrichten- und Forschungsinstitut (INFI) am Kurfürstendamm 52 mit einem Koffer, der 12 Oder 13 Brandsätze enthielt, auf. Als einige SDS-Mitglieder, darunter auch ich, ihn deshalb zur Rede stellten, hatte er bereits wenige Brandsätze an zufällig Anwesende verteilt.

Wir zwangen ihn daraufhin, den Koffer sofort in sein eigenes Auto, das vor dem Haus geparkt war, einzuschließen und uns den Autoschlüssel auszuhändigen, um so zu verhindern, daß noch weitere Brandsatze in Umlauf kamen.

Am nächsten Morgen war der Pkw verschwunden. Urbach erklärte uns gegenüber, er habe den Koffer im Landwehrkanal versenkt, nachdem er seinen Wagen mit Hilfe eines Zweitschlüssels weggebracht habe. Am 6. März 1969 fand dann die Politische Polizei einen der Brandsätze in den Räumen der Kommune I in der Stephanstraße 60 in Moabit. Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans wanderten dafür in Untersuchungshaft. Eine weitere Brandbombe aus Urbachs Beständen fand dann die Polizei schließlich am 9. November 1969 im Jüdischen Gemeindehaus.

Es wäre an der Zeit, daß sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß mit der Funktion des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz in der Entstehungsphase des Terrorismus von links beschäftigt, nicht etwa, weil diese Verfassungsschützer den Terrorismus erfunden hatten, sondern weil sie einzelne in dieser Richtung bestärkten und in verschiedenen Fallen nachweislich mit Waffen versorgt haben. Ziel dieser Operationen war zweifellos die Kriminalisierung der Apo.

Berlin        TILMAN FICHTER
ehemaliger Berliner SDS-Vorstand

Veröffentlicht als Leserbrief, in Spiegel Nr. 44/1980, 27.10.1980

Anmerkung der Red.: Leserbriefe sind online nicht wiedergegeben