Ich selbst
bin Annemarie Tröger das erste Mal Mitte der 1970er Jahre im
Frauenzentrum Berlin, Stresemannstr. 11 begegnet. Sie, die
fast zehn Jahre ältere, hat mich sehr beeindruckt. Sie war
schön, selbstbewusst, klug und eloquent. Sie war eine
feministisch-sozialistische Intellektuelle, wie ich es auch
gerne sein oder wenigstens einmal werden wollte. Sie hatte
einen bürgerlichen, eher groß- und bildungsbürgerlichen
Habitus und stammte auch aus entsprechenden Verhältnissen.
In diese
Verhältnisse war sie 1939 in Jena hinein geboren, dann aber
schon als Kind durch Krieg, Umsiedlung und mittellos
gewordene Familie auch wieder hinaus geschleudert worden.
Ich weiß nicht, wie und warum Annemarie zur Sozialistin, zur
Antikapitalistin, zur Gegnerin westdeutscher
Nachkriegs-Normalitäten wurde; jedenfalls trat sie schon als
junge Studentin Anfang der 1960er Jahre in Göttingen dem SDS
bei. Dabei hatte Annemarie von Anfang an immer auch Simone
de Beauvoirs „Anderes Geschlecht“ nicht nur im Gepäck,
sondern auch im Kopf. Damit ausgestattet erlebte sie den
„real-existierenden Sozialismus“ nicht nur in der DDR,
sondern auch im SDS und seinen männerdominierten
Nachfolgeorganisationen, als eine durch und durch
männerbündische Inszenierung, die sich mit der
Marginalisierung von Frauen auch zentraler Herausforderungen
wahrhaft sozialistischer Politik entledigt hatte.
Als sich
die neue Frauenbewegung als Bewegung immer mehr in den
Institutionen, in die sie hineinwirkte, und in den Projekten,
die sie hervorgebracht hat, auflöste, ließ sie einen nicht
unbeträchtlichen Teil ihrer Begründerinnen und Aktivistinnen
zurück. Annemarie knüpfte an ihre Ausbildung als
Diplom-Psychologin an und praktizierte nun als
Psychotherapeutin – selbstverständlich wieder in einem
kollektiven Zusammenhang: im Verein
freier Psychotherapeuten.
Auch als
praktizierende Psychotherapeutin blieb Annemarie Tröger eine
femina politica. Aber als solche ist sie den Jüngeren, die
sich heute dem Feminismus verbunden fühlen, kaum mehr
bekannt. Annemaries Name taucht auch in den jüngeren
Publikationen zur Geschichte der neuen Frauenbewegung nicht
auf.
Diese
Geschichte – das ist mir nicht erst bei den Recherchen für
diesen Nachruf aufgefallen - wird erstaunlich unpersönlich
erinnert und erzählt; dabei hatte sich doch gerade die Neue
Frauenbewegung (in Opposition zur üblichen
Stellvertreterpolitik) die Politik im eigenen Namen und in
der ersten Person zur Aufgabe gemacht. Der Tod von Annemarie
Tröger sollte uns Weggefährtinnen Ansporn sein, diesen
Spuren ein Gesicht zu geben.
Ingrid
Kurz-Scherf, EMMAonline, 25.3.2013