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Ferienlager bei El Fatah

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund auf Erkundungsfahrt bei den arabischen Guerillas

Frankfurt am Main

Eine „Ferienaktion“ besonderer Art meldete Ende vergangener Woche der UPI-Korrespondent Gerry Loughran aus Jordanien. Wie der Journalist in Ammanermittelte, haben sich seit kurzem 145 Angehörige linksgerichteter Studentengruppen aus mehreren Ländern Asiens, Afrikas und Europas, die Bundesrepublik inbegriffen, der palästinensischen Untergrundbewegung El Fatah angeschlossen, um etwa einen Monat lang die Arbeit der Organisation kennenzulernen, im Sanitätsdienst zu helfen und etwas für die eigene körperliche Fitness zu tun.

Am gleichen Tage noch verbreitete die Deutsche Nachrichtenagentur (dpa) ein halbes Dementi. Nachforschungen bei „zuständigen Kreisen“ hätten ergeben, daß zumindest für den Aufenthalt deutscher Freiwilligengruppen bei arabischen Guerillas keinerlei Anhaltspunkte bestünden; dpa irrte. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund hielt sich zwar nicht für zuständig, war aber rundum informiert. Er verlor sich nicht in Ausflüchte. Udo Riechmann vom SDS-Bundesvorstand in Frankfurt erklärte: „Wir haben uns aus guten Gründen zwar nicht danach gedrängt, die Sache an die große Glocke zu hängen. Aber warum sollten wir es verschweigen: Es waren mehrere Leute von uns unten in Jordanien, und es sind noch einige dort.“

Vorerst jedoch verbietet ein festes Versprechen, daß ein detaillierter Reisebericht nach außen dringt. „Die Leute, die runtergefahren sind“, sagt Burghart Blüm, ebenfalls Bundesvorstandsmitglied des SDS, „haben sich geschworen, individuell keine Erklärungen abzugeben.“ Die Frankfurter Zentrale macht außerdem keinen Hehl daraus, daß sie in dieser Angelegenheit von forscher Provokation wenig hält, sondern vor allem daran denkt, nicht in ein schiefes Licht zu geraten. Es gibt, wie es heißt, gewichtige Gründe dafür, um über die Sicherheit der „insgesamt etwa zehn“ Jordanienfahrer besorgt sein zu müssen.

Mit ungewohnter Akkuratesse bemühte sich der Studentenbund deshalb von Anfang an, alles zu unterlassen, was „zu Mißverständnissen hätte führen können“ (Riechmann). Laut Mitteilung aus der Zentrale suchten die SDSler die Guerillas nicht als offizielle Delegation ihres Verbandes auf. Es gab nie die Absicht, sie militärisch ausbilden zu lassen, geschweige denn, an Einsätzen zu beteiligen. Sie wurden – laut Burghart Blüm – sofort zurückgeflogen, als die ersten Meldungen über die angebliche Unterstützung der El Fatah durch deutsche Studenten in die Bundesrepublik gelangten. Da die Maschinen von Amman nach Kairo (und von dort nach Europa) immer voll besetzt waren, konnte zunächst nur ein Teil der Studenten zurückfliegen.

Freilich liegt noch manches im Nebel. So sagt der SDS zwar, daß er nie in der Lage gewesen wäre, die etwa 15 000 Mark Unkosten für die Hin- und Rückflüge auszugeben. Wer aber für ihn in die Tasche gegriffen hat, behält er für sich. Und so gibt der Sozialistische Studentenbund vor, Zweck der Reise sei allein das Studium des palästinensischen Revolutionsmodells gewesen. Die Veröffentlichung von Erfahrungsberichten einzelner Reiseteilnehmer soll indessen zumindest so lange zurückgehalten werden, wie das „Gesamtmaterial“ noch nicht vorliegt.

Selbstkritisch läßt der SDS durchblicken, daß seine Kenntnisse den Formen des Widerstands der verschiedenen arabischen Freiheitsbewegungen gegen den Zionismus bislang einigermaßen lückenhaft blieben. So festgefügt den Genossen beispielsweise ihr Vietnam-Bild erscheint, scheiden sich in der Bewertung des Nahost-Problems offenbar noch die Geister. Gelegentlich kommt sogar unverhohlenes Mißtrauen auf. „Wir müßten prüfen“, erklärt Udo Riechmann, „ob die Informationen, die wir bisher über El Fatah und die anderen Bewegungen erhielten, mit den Gegebenheiten übereinstimmen.“

Denn in den vergangenen Wochen und Monaten schien der engagierten Linken in der Bundesrepublik in besonderer Weise klar zu werden, daß die ideologische Basis der Untergrundkämpfer von Hebron, Nablus und Bersheba unzureichend ist. Bei der palästinensischen Freiheitsbewegung, so beklagten mehrere SDS-Mitteilungen, sei der allgemeine politische Bildungsstand mittelmäßig, die theoretische Kenntnis minimal und die ideologische Ausrichtung konfus.

Diese Kritik beweist, daß in der Beurteilung der Situation in Nahost längst nicht alle SDSler etwa mit Günther Amendt, einem ihrer führenden Ideologen, übereinstimmen, der den Freischärlern von El Fatah bescheinigen möchte, daß sie „von Royalisten und anderen Gruppen, die ausschließlich für irgendwelche arabische Ölscheichs arbeiten, gereinigt sind“. Der Genosse Amendt, so kann man in Frankfurt hören, sei im Detail manchmal unzureichend informiert.

Dennoch: Über die Grundhaltung gibt es beim Sozialistischen Studentenbund keinen Streit, „Selbstverständlich bejahen wir im Nahen Osten die Anwendung von Gewalt“, sagt Burghart Blüm. Aus dieser Einstellung Rückschlüsse auf eine Beteiligung von SDS-Leuten an direkten Aktionen gegen Israel ziehen zu wollen, wird jedoch als absurd zurückgewiesen. Ganz abgesehen davon, daß sich die Männer von El Fatah eine derartige Unterstützung angeblich „verbitten“ würden, will der SDS nach eigener Darstellung nichts riskieren, was in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik einen Revolutionsromantizismus erzeugen könnte.

Udo Riechmann möchte in dieser Frage allen Spekulationen die Spitze abbrechen: „Von unseren Leuten wurde lediglich der Zweck verfolgt, eingehendes Informationsmaterial zusammenzutragen.“ Im übrigen werde von seinen Mitstreitern niemand „so blöd“ sein, ergänzt Günther Amendt, das palästinensische Revolutionsmodell etwa auf den Widerstand in bundesdeutschen Großstädten zu projizieren.

Wieweit die Erkundungsfahrten dennoch in propagandistische Aktionen umgesetzt werden sollen, ist noch offen. Daß irgendjemand auf den Gedanken kommen könnte, den SDS zu befragen, ob er sich der Objektivität halber auch ein Bild von Israel verschafft habe, ist für die linken Revolutionsstrategen keine Frage von Relevanz, „Was sollen wir in Israel?“, fragt der Doktorand Hans-Jürgen Krahl mit heruntergezogenen Mundwinkeln zurück. „Dort gehen wir hin, wenn’s sozialistisch geworden ist.“

Hans-Joachim Noack

Quelle: Die Zeit, 15.8.1969