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Gero Neugebauer

Eröffnung des Rudi-Dutschke-Wegs am 12.4.1999

 

Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

wir wollen mit der Benennung dieses Weges an Rudi Dutschke erinnern, der am 11. April 1968 von einem Attentäter angeschossen und dabei so schwer verletzt wurde, daß er 1979 an den Folgen dieses Attentats starb.

Rudi Dutschke war aus der DDR nach Westberlin gekommen, hatte hier an der FU Soziologie und Ethnologie studiert und eine Dissertation "Über den Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen" geschrieben. Das begründete allein jedoch nicht diese heutige Ehrung. Es ist vielmehr seine Rolle in der Geschichte der FU, die er als einer der Führer der Studentenbewegung der 60er Jahre einnahm.

Der erste Anlaß, der uns zu dieser Initiative veranlaßt hat, war, daß das Gedenken an die 30. Wiederkehr dieses Tages in den Szenarien, die im letzten Jahr zum 50. Jahr der Wiederkehr der Gründung der FU Berlin hier abliefen, fehlte.

Der zweite Grund war die Ablehnung des Bezirkes Zehlendorf, eine Straße im Ortsteil Dahlem nach Dutschke zu benennen. Es gab eine Initiative, drei Straßen, die mit historisch belasteten Namen versehen sind, umzubenennen. Der Beschuß der chinesischen Hafenstadt TAKU durch das deutsche Kanonenboot ILTIS unter seinem Kommandanten LANS wurde später mit den entsprechenden Straßenbenennungen gewürdigt. Seine Skepsis darüber, ob die deutsche Kolonialgeschichte heute noch derartig gewürdigt werden sollte, veranlaßte unseren Kollegen Traugott Klose, diese drei Straßen für eine Umbenennung vorzuschlagen. Die Iltistrasse, in der es nur eine private Anliegerin gibt und wo sich das neue Studentenhaus befindet, schien dazu geeignet zu sein, den Namen von Rudi Dutschke zu tragen, die beiden anderen sollten den Namen einer Wissenschaftlerin und eines Wissenschaftlers tragen. Nur: Es gab dafür keine ausreichende politische Unterstützung. Warum nicht?

Wollte man nicht die verschrecken, die vom U-Bahnhof Dahlem kommend durch die Rudi-Dutschke-Strasse zu dem an der jetzigen Lansstrasse gelegenen Völkerkundemuseum gehen würden? Wollte man jetzt, wo es um ein neues Image für die FU geht, nicht an die 60er Jahre erinnern, als die FU zum Zentrum der außerparlamentarischen Opposition wurde und Rudi Dutschke große Popularität erlangte? Das mag angesichts der in der Berliner Politik häufig auftauchenden provinziellen Dimension vielleicht stimmen, aber wir wissen es letztlich nicht. Die Ablehnung dieser Initiative wurde von dem freundlichen Hinweis begleitet, doch eine Lokalität im FU-Gelände zur Benennung auszuwählen.

Das bewog uns, im Akademischen Senat der FU einen dementsprechenden Antrag zu stellen. Die Argumente waren sowohl die wissenschaftlichen als auch die politischen Leistungen von Rudi Dutschke. Vor allem letztere haben die FU bekannt gemacht, wahrscheinlich mehr, als es schon damals manchen angenehm war - und heute noch ist.

Wer unter wissenschaftlichen Leistungen versteht, daß das preisverdächtige Arbeiten sein müßten, der wird diesen Maßstab nicht an alle Schriften Rudi Dutschkes anlegen dürfen. Wir sind deshalb den Mitgliedern des Akademischen Senats der FU insofern dankbar dafür, daß sie uns Antragsteller nicht danach fragten, was der wissenschaftliche Beitrag an den von ihm mit herausgegebenen Textsammlungen über die "Sowjetunion und westliche Linke" oder "Der lange Marsch. Wege der Revolution in Lateinamerika" sei. Da hätten wir noch mal in den Kommentaren und Erläuterungen nachlesen oder unser Verständnis über den Zusammenhang von Wissenschaft und Politik in der damaligen Zeit erläutern müssen. Nicht schwer wäre es uns bei Rudi Dutschkes "Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen" gefallen. Jedenfalls gab es keine Diskussion - und keine Gegenstimmen zu diesem Antrag.

Aber wer nun umherblickt und versucht, eine Vertreterin oder einen Vertreter der Universitätsleitung, die mit der Durchführung dieses Beschlusses beauftragt worden war, hier zu finden, der wird enttäuscht sein. Es gibt keine oder keinen. Das kann nur die verwundern, die bislang nicht gemerkt haben, dass diese Freie Universität eine selektive Erinnerungspolitik betreibt, die sich nicht nur darin äußert, daß dieses Ereignis heute negiert wird. Das zeigt sich auch darin, daß Traditionslinien der FU abgeschnitten werden. Dazu zähle ich das kritische Befassen mit vielen wissenschaftlichen und politischen Themen aus den Bereichen der Friedens- und Konfliktforschung, der Geschlechterforschung oder Forschungen über die Gefährdung der Demokratie. Diese Bereiche erfreuen sich seit Jahren seitens der FU-Leitung keiner oder nur geringer Aufmerksamkeit. Die institutionalisierte sozialwissenschaftliche Rechtsextremismusforschung beispielsweise wurde schon vor Jahren personalwirtschaftlich erledigt.

Es zeigt sich auch darin, daß im Wahlkampf um das Amt des Präsidenten einer der Kandidaten anscheinend kein Problem hat, mit einer hochschulpolitischen Liste zu kooperieren, zu der ein Ehemaliger aus dem Kreis um Rudi Dutschke zählt. Dieser bezeichnet heute die FU als eine Universität, die, ich zitiere aus einem von ihm verfaßten Brief, "sich selbst einredet, liberal bzw. aufgeklärt zu sein." Will die FU-Leitung dieses durch ihre Haltung bestätigen? Der Kandidat hat mir auf die Frage, was er von einer solchen Bemerkung hält, bislang nicht geantwortet.

Mit der Benennung dieses Weges über das Obstbaugelände der FU wollen wir deshalb auch daran erinnern, daß Rudi Dutschke mit seiner politischen Arbeit einen wesentlichen Teil dazu beigetragen hat, daß diese FU eine Identität erlangte, die sie von anderen Universitäten in Deutschland unterschieden hat - und immer noch, aber immer weniger, unterscheidet. Auch wenn am Abend des 11. Aprils 1968 das Audimax der TU der Ausgangspunkt der Aktionen war, die dann für lange Zeit in weiten Bereichen der öffentlichen Meinung das Bild der Studentenbewegung in Berlin prägten - es war die FU, an der Rudi Dutschke studierte und an der er wichtige Beiträge zum Aufbruch aus der politischen und kulturellen Nachkriegszeit leistete. Das ist, so denken wir, allein schon das Erinnern wert.