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Der Papst und die löchrigen Kondome

Der Kampf der katholischen Kirche gegen die »Vergötzung des Sexualtriebs«

Uta Ranke-Heinemann
  • Heute beginnt Papst Benedikt XVI. einen sechstägigen Besuch in Bayern. Dort wird er, geleitet von seinem Motto, »daß wir Gott wieder entdecken müssen«, in mehreren Städten Großgottesdienste abhalten. Anläßlich des zu erwartenden Frömmigkeitsspektakels veröffentlicht jW exklusiv einen Beitrag der katholischen Theologin Uta Ranke-Heinemann, ehemalige Studienkollegin des inzwischen 79jährigen Joseph Ratzinger. Sie war 1970 die erste Frau der Welt, die eine Professur für katholische Theologie erhielt und die erste Frau der Welt, die sie wieder verlor (1987), weil sie an der Jungfrauengeburt zweifelte. Ihre beiden Bücher »Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität« und »Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum« sind internationale Bestseller (erschienen als Heyne-Taschenbücher 2004).



Ich hatte mich gefreut, als Ratzinger zum Papst gewählt wurde. Und ich habe meiner Freude auch Ausdruck gegeben, jedem gegenüber, der mich nach meiner Meinung fragte. Denn seit unserer gemeinsamen Studienzeit in München 1953/1954 hat für ihn immer eine kleine Kerze in der Kathedrale meines Herzens gebrannt. Er fiel mir damals auf als sehr intelligent. Er war der Star unter den Studenten. Und ich sehe uns noch, wie wir beide einsam in einem der großen Hörsäle nebeneinander sitzen und die Thesen unserer Doktorarbeiten ins Lateinische übersetzen. Eine gegenseitige Achtung ist seitdem verblieben. Er war auch der einzige, der mir noch nach meiner Exkommunikation (1987, weil ich nicht an die Jungfrauengeburt glauben konnte) freundliche Briefe schrieb, während alle anderen Bischöfe und Kardinäle, die vorher so freundlich zu mir waren, mich fallenließen. Und so verwahre ich sorgfältig Ratzingers freundliche Briefe und Grüße aus dem Vatikan.

Und als er dann zum Weltjugendtag nach Köln kam, äußerte ich in N 24, am Rheinufer stehend, wo Ratzinger erwartet wurde, meine Hoffnung auf seine reformatorische Tat. Ich sagte: Es ist der erste Besuch eines deutschen Papstes im Lande Luthers, 500 Jahre nach der Abspaltung Luthers und 1000 Jahre nach der großen Spaltung zwischen Ost- und Westkirche. Beide Spaltungen erfolgten wegen des Priesterzölibats. Und da ja der Zölibat nicht einmal ein Dogma sei, sondern laut Päpsten jederzeit abgeschafft werden könne, setzte ich meine Hoffnung auf ihn, Papst Benedikt.

Zölibat und Jungfrauenkult

Daß die Reformation Luthers vor allem eine riesige Antizölibatsbewegung war, hören die Theologen allerdings nicht gern. Für die evangelischen Theologen lag der Unterschied Luthers zur Papstkirche in der Rechtfertigungslehre, die aber den normalen Christen heute nicht mehr interessiert und von der er nicht einmal mehr weiß, was sie eigentlich bedeutet. Für die katholischen Theologen damals und heute spielte die Zölibatsfrage bei den Abspaltungen keine Rolle, sie gehört für sie gar nicht zur Sache – dafür aber sehr wohl zur Nebensache, an der sie, jedenfalls in der Vergangenheit, jede Einigung scheitern ließen.

Als ersten Schritt schlug ich dem Papst die Praxis der Ostkirche vor, in der die Priester verheiratet sind, lediglich die Bischöfe nicht. Als zweiten Schritt dann die Praxis der evangelischen Kirche, wo alle Pfarrer verheiratet sind, bis hinauf zur Bischöfin. Ich hielt z. B. ein Foto der papstfreundlichen italienischen Illustrierten Oggi vom 3.8.2005 in die Kamera, wo der Papst im Urlaub sich angeregt mit dem zehnjährigen Hirtenknaben Mattia unterhält. Überschrift über dem ausführlichen Artikel: »Wenn ich groß bin, möchte ich Papst werden, aber nur, wenn ich heiraten und eine schöne Familie (una bella famiglia) haben kann wie bei uns zu Hause mit meinem Bruder«. Daß das Foto von höchster Stelle, nämlich vom Pressesprecher des Vatikans, Joaquin Navarro Vals, aufgenommen war, einem Opus-Dei-Mitglied mit größtem Einfluß auf Johannes Paul II., schien mir eine Wende im Vatikan anzudeuten. Ja, ich hatte tatsächlich Hoffnung, daß Papst Benedikt die Sexual- und Frauenfeindlichkeit seines Vorgängers überwinden könnte.

Es gab noch einen anderen Grund, warum ich auf Ratzinger hoffte. Ich dachte, daß er den extremen Jungfräulichkeitskult seines Vorgängers nicht teilte. Beispiel: Weihnachten. Dieses Fest war vor Johannes Paul II. bekannt unter der Bezeichnung: »Heute ist uns der Retter geboren«, oder so ähnlich. Am 24. Dezember 1992 jedoch, in der Mitternachtsmesse der ARD, kündigte Kardinal Sterzinsky das Weihnachtsgeschehen so an: »Heute feiern wir den Tag, an dem Maria in unversehrter Jungfräulichkeit ihren Sohn geboren hat.« Vorher hatte Johannes Paul II. schon den ganzen Advent über von der nahe bevorstehenden Entbindung der jungfräulich empfangen habenden, immerwährenden Jungfrau gepredigt. Christentum war Jungfrauenkult geworden und Weihnachten ein Marienfest.

Ratzinger hingegegen, so dachte ich, sieht das anders. Und ich erinnerte mich an unsere Studienzeit in München. Er promovierte damals bei Professor Söhngen, einem sehr angesehenen Gelehrten, und Ratzinger war sein Lieblingsstudent. Eines Morgens begann Professor Söhngen seine Vorlesung im überfüllten Hörsaal mit den Worten: »Hieronymus wachte auf und seufzte: ›Der Weltkreis ist arianisch‹.« Und ich wachte auf und seufzte: »Der Weltkreis ist marianisch.« Der ganze Hörsaal lachte über den marianisch gewordenen Weltkreis. (Erklärung: Hieronymus war ein Kirchenvater, gestorben 430. Arius war ein berühmter Ketzer, gestorben um 335. Er sagte: »Jesus ist nicht Gott, sondern Mensch. Er ist von Gott geschaffen und nicht von Gott gezeugt.« Ganze Völker waren zur Zeit des Hieronymus arianische Christen. 1950 hatte Pius XII. die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel als neues Mariendogma verkündet.)

Und da war noch etwas, was mich auf Ratzinger hoffen ließ. In seinem Buch »Einführung in das Christentum« (2. Auflage, München 1968) schreibt er auf Seite 225: »Die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.« Ich habe diesen Satz Ratzingers, weil er mir ein Hinweis schien, daß er die Jungfrauengeburt genauso wenig wörtlich versteht wie ich, sondern als Legende begreift, zitiert in meinem Buch »Nein und Amen«.

Und als mir wegen dieser Auffassung von der Jungfrauengeburt Kardinal Hengsbach 1987 meinen Lehrstuhl (für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte) an der Universität Essen wegnahm, Exkommunikation eingeschlossen, dachte ich: Ich bin an der Primitivtheologie der deutschen Lokalhierarchen gescheitert. Ich wandte mich jetzt an einen Theologen, an Ratzinger. Er war zur Zeit des 2. Vatikanischen Konzils (1962–1965) Begleiter des von mir geschätzten Kardinals Frings von Köln gewesen. In seinem erwähnten Buch auf Seite 224 führt Ratzinger ferner aus, daß die Jungfrauengeburt ein zur Zeit Jesu verbreitetes Vorstellungsmodell war: »Der Mythos von der wunderbaren Geburt des Retterkindes ist in der Tat weit verbreitet.« Womit, so schloß ich, er also anerkennt, daß der Mythos von der Jungfrauengeburt nichts spezifisch Christliches ist.

Hier ein paar Beispiele aus der Antike, die jeder Theologe kennt: Platons Neffe Speusippos, Sohn seiner Schwester, berichtet von einer in Athen verbreiteten Sage, wonach Platon ein Sohn des Gottes Apoll gewesen sei. Bis zu Platons Geburt habe Platons Vater Ariston sich des (Geschlechts)Verkehrs mit der Gattin Periktione, der Mutter des Platon, enthalten.

Auf die gleiche Weise beschränkt sich die Legende von Jesu Jungfrauengeburt auf die Jungfräulichkeit Mariens bis zur Geburt Jesu: »Josef erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte und gab ihm den Namen Jesus« (Matthäus 1,25). Platon bekam Geschwister, z.B. die Mutter des Speusippos, und Jesus bekam Brüder und Schwestern. Sie werden bei Markus (6,3) und Matthäus (13,55 f.) erwähnt. Die Tatsache, daß bei Matthäus, der im 1. Kapitel die Jungfrauengeburtslegende erzählt, später von Brüdern und Schwestern Jesu berichtet wird, zeigt, daß man die Jungfrauengeburt damals nicht in einem sexualpessimistischen Sinn verstand.

Der erwähnte Kirchenvater Hieronymus übrigens, der Verherrlicher von Zölibat und Jungfräulichkeit, hat die vier namentlich genannten Brüder Jesu und die nicht namentlich genannten Schwestern Jesu zugunsten der sexuellen Unberührtheit Marias theologisch abgetrieben, indem er sie zu Vettern und Cousinen umetikettierte.

Anderes Beispiel: Seit 2500 vor Christus wurde der Pharao »Sohn Gottes« genannt und seine Mutter »Jungfrau«. »Jungfrau« wurde sie auch dann noch genannt, wenn sie außer dem Pharao noch andere Kinder geboren hatte. Und auch wenn sie alt geworden war, verlor sie diesen Titel nicht. Der Kaiser Augustus galt nach Sueton als ein Sohn des Apoll, Alexander der Große wurde gemäß Plutarch durch einen Blitzstrahl empfangen.

Das Bild von der Jungfrauengeburt entspricht den Verehrungsmythen der antiken Welt, berühmte Männer, d.h. Staatsmänner und Philosophen, zu ehren, indem man sie von Göttern abstammen ließ. Einfältige glaubten solche Legenden, einige machten sie sich auch zunutze: »Es lebte ein Weib in Pontos, das behauptete, von Apoll schwanger zu sein. Was viele glaubten, viele aber auch nicht«, schreibt Plutarch. Solche antiken Wunderlegenden über berühmte Männer in eine Legende über die lebenslängliche Jungfräulichkeit der Mutter des Geehrten umzuspinnen und an die Spitze ihres Glaubensbekenntnisses zu setzen (»Geboren von der Jungfrau Maria«), war der Sexualneurose der katholischen Kirche vorbehalten und erfuhr seinen Höhepunkt bei Johannes Paul II.

Ich wandte mich also am 14.6.1987 mit einem Brief an Kardinal Ratzinger und bat ihn um Hilfe gegen den Essener Bischof.

Er antwortete mir in einem zwei Seiten langen freundlichen Brief. »Es sind wohl ziemlich genau zwanzig Jahre, daß wir zusammen im Seminar von Söhngen gesessen haben. So habe ich mich einerseits gefreut, einmal wieder direkt von Ihnen zu hören, wenn ich mir natürlich auch auf der anderen Seite gewünscht hätte, daß der Anlaß ein erfreulicherer gewesen wäre.« (Es waren über 30 Jahre her, nicht 20, daß wir zusammen im Seminar von Söhngen saßen). Er schreibt dann weiter, daß er die Stellen in seinem Buch, die ich ihm zitierte, in anderen Büchern ausführlicher dargestellt habe, die »um das Ganze meiner Position zu sehen, mitgelesen werden« sollten. Er schließt mit den Worten: »gelten Ihnen meine besten Wünsche und freundlichen Grüße, Ihr Joseph Kardinal Ratzinger.« Ich entnahm aus seinem Brief, daß inzwischen Johannes Paul II. auf ihn abgefärbt hatte .

Keine Wende im Vatikan

Als Ratzinger dann Papst wurde, freute ich mich aufrichtig. Aber sehr schnell mußte ich feststellen, daß die Unfehlbarkeit der Vorgängerpäpste das selbständige Denken der Nachfolgerpäpste lahmlegt. Ein Papst ist dazu verdammt, der ewig Gestrige zu bleiben. Reformen in der katholischen Kirche waren immer Rückschritte in Richtung Frauen- und Sexualfeindlichkeit.

Johannes Paul II. wird neuerdings in amerikanischen Sendern »John Paul the Great« genannt, weil er Bush zum Wahlsieg verholfen hat. Beide haben ja das gemeinsame Motto: »Je ungeborener, ja ungezeugter das Kind, desto weniger darfst du es töten oder verhindern, je geborener, desto mehr davon darfst du unter Umständen umbringen: erstens durch Todesstrafe. Bush und Johannes Paul II. in Nr. 2266 seines Weltkatechismus von 1992 sind die unerbittlichsten Befürworter der Todesstrafe, zweitens durch sogenannte gerechte Kriege, auch »humanitäre Einsätze« genannt.

Johannes Paul II. hat gemäß seiner Junggesellentheologie den Inhalt der Botschaft Jesu klargestellt und neu definiert in seinem Apostolischen Schreiben »Die Würde der Frau« 1980, Kapitel 20: Inhalt, Kern und Stern der Botschaft Jesu, das eigentlich Neue, das Jesus in die Welt brachte, war die Jungfräulichkeit. (In Wirklichkeit war der Kern der Botschaft Jesu: Feindesliebe und keine Vergeltung, die er allerdings in den Wind geredet hat und in den christlichen Sand schrieb.) Und von Johannes Paul II. wurde Papst Benedikt völlig vereinnahmt, beeindruckt, geprägt, umgeprägt.

Päpstliche Welttherapie

Nichts wurde unter ihm anders. Außer dem auffallend eleganten Redefluß, diesem druckreifen Fließen der Worte, den ich immer an Ratzinger bewundert hatte und der mir neulich wieder auffiel, als am 5. August die vier von ARD, ZDF, Deutscher Welle, Radio Vatikan vor ihm saßen (immerhin nicht knieten) und andächtig lauschten, während er redete, ohne auf ihre Fragen wie Verhütung, Kondome für HIV-Infizierte zu antworten, während er also flüssig redete, um nichts zu sagen.

Papst Benedikt XVI. hat noch im Jahr seines Amtsantritts 2005 die Denunziation in den Priesterseminaren eingeführt. Denunziation ist nichts Neues in der katholischen Kirche. Gegenseitige Denunziation von Priestern ordnete schon die Synode von St. Pölten 1284 an. Damals ging es gegen Priester, die eine heimliche Konkubine hatten. Inzwischen geht es gegen Priester, die heimlich einen männlichen Partner haben. Man sieht den Fortschritt in der katholischen Kirche, der die Vertreibung der Frauen restlos geglückt ist. St. Pölten wurde übrigens vor kurzem bekannt durch den Skandal im Priesterseminar des Bischofs Kurt Krenn.

Gemäß Johannes Paul II. und seinem Sprachrohr Carlo Caffarra, Leiter des »Instituts Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie« (von Johannes Paul II. 1980 gegründet) an der päpstlichen Lateranuniversität, ist Verhütung Mord. Deshalb darf z.B. ein HIV-infizierter Bluter lebenslänglich nicht mit seiner Frau verkehren, auch nicht nach deren Klimakterium, weil Kondome eine von Gott verbotene Art der Verhütung sind. Und wenn der bluterkranke Ehemann das nicht fertigbringt, ist es besser, daß er seine Frau ansteckt, als daß er ein Kondom nimmt.– Carlo Caffarra wurde 2006 von Papst Benedikt zum Kardinal erhoben.

Anläßlich seines 25jährigen Papstjubiläums faßte am 16. Oktober 2003 Johannes Paul II. seine Botschaft an die Menschheit so zusammen: »Für die Kirche und die Welt von heute bedeutet das Zeugnis der keuschen Liebe (gemeint ist der Zölibat) auf der einen Seite eine spirituelle Therapie für die Menschheit, auf der anderen Seite einen Protest gegen die Vergötzung des Sexualtriebs.« Auf dem Foto zu dieser päpstlich verordneten Welttherapie sieht man Johannes Paul II., Kardinal Ratzinger und andere Kardinäle im Gebet versunken.

Unter Papst Benedikt tauchte kurz die Frage nach Kondomen für HIV-infizierte Ehemänner wieder auf, angesichts der hohen Zahl von afrikanischen Ehefrauen, die sich angesteckt hatten. Die Fragenden wurden sofort zum Verstummen gebracht.

Im Fernsehen und Rundfunk hörte ich immer wieder katholische Würdenträger, die behaupteten: Kondome hätten Löcher und seien kein Schutz gegen AIDS. Am 18. Oktober 2003 sah ich anläßlich des erwähnten 25jährigen Papstjubiläums in BBC World eine Sendung, in der ein BBC-Reporter mehrere schwarze Kardinäle und Erzbischöfe und vor allem Kardinal Lopez Trujillo, den Sprecher Johannes Paul II. in Ehe- und Familienfragen, bezüglich dieser löchrigen Kondome befragte. Alle versicherten: »Ja, Kondome haben Löcher. Das ist erwiesen«. Kardinal Trujillo war unlängst mit Papst Benedikt beim Familienkongreß in Valencia, als Sprecher für Familienfragen.

Über Kardinal Trujillo lese ich heute, 31. August 2006, folgenden dpa-Bericht in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: »Die katholische Kirche in Kolumbien hat nach der Abtreibung bei einem elfjährigen vergewaltigten Mädchen die Exkommunikation aller Beteiligten angekündigt. Dies betreffe alle an dem Schwangerschaftsabbruch beteiligten Personen wie die Eltern des Mädchens, die Ärzte, Krankenschwestern, Politiker und Gesetzgeber, sagte Kardinal Alfonso Lopez Trujillo am Dienstag.«

Die Lebensgefahr für dieses vergewaltigte, armselige elfjährige Kind und die Angst seiner Eltern um sein Leben müßten berücksichtigt werden. Im Schutz für sekundenalte Embryonen jedoch geht die katholische Kirche über Kinderleichen. Und zwar wegen des Dogmas der »Unbefleckten Empfängnis Mariens«. (Erklärung: Dieses Dogma ist dem modernen Menschen hauptsächlich dadurch bekannt, daß er es ständig mit der Jungfrauengeburt verwechselt. 99 Prozent der Deutschen glauben, das Dogma von der »Unbefleckten Empfängnis Mariens« beziehe sich auf den Zeitpunkt, an dem Maria Jesus vom Heiligen Geist empfangen hat. Es bezieht sich aber auf den Augenblick, an dem Maria von ihrer Mutter Anna empfangen wurde, und zwar »unbefleckt von Erbsünde«, was immer das bedeutet). Weil Maria vom Augenblick ihres Empfangenseins (durch ihre Eltern Joachim und Anna) eine »intelligente Seele« gehabt haben muß, da man ja ansonsten bei ihrem Fest »Mariä Unbefleckte Empfängnis« nur ein unbeseeltes Materieklümpchen gefeiert hätte, was »der allerseeligsten Jungfrau unangemessen« wäre, deswegen also werden jetzt alle Beteiligten in Kolumbien exkommuniziert als Quasimörder (Näheres in meinem Buch »Eunuchen für das Himmelreich«).

Tödliche Irreführung

Aber kehren wir von dem vergewaltigten Kind in Kolumbien zurück zu den Löchern in den Kondomen, von denen Kardinal Trujillo die Menschheit zu überzeugen sucht. In der gleichen BBC-World-Sendung, in der er und die anderen Würdenträger das Märchen von den löchrigen Kondomen als »wissenschaftlich erwiesen« bezeichneten, sah man ein großes Feuer in Afrika, in dem Millionen Kondome (von Anti-AIDS-Gruppen bezahlt) in Gegenwart eines schwarzen Erzbischofs verbrannt wurden. Anschließend besuchte der BBC-Reporter einen AIDS-kranken schwarzen Ehemann in seiner armseligen Hütte. Auf die Frage, wie er seinen Eheverkehr aufrechterhält, ob er Kondome benutzt, sagte der junge Mann mit seinen fiebrigen Augen in klagendem Ton: »Kondome haben doch Löcher!« Man hatte den Eindruck, daß er glaubte, der Vatikan arbeite an der Erfindung von löcherfreien Kondomen, die er aber leider nicht mehr erleben würde. Seine junge Ehefrau saß neben ihm und sagte kein einziges Wort.

Am 7. August 2004 wurde in BBC World eine verzweifelte Afrikanerin interviewt. Sie hatte gerade erfahren, daß sie sich bei ihrem AIDS-kranken Mann infiziert hatte. Warum sie denn keine Kondome benutzt habe? »Ich habe solche Angst vor dem Höllenfeuer, vor dem unser Pfarrer uns gewarnt hat.« Die Verzweiflung der weinenden jungen Frau war ein herzzerbrechender Anblick, den ich nicht vergessen kann.

Anschließend fragte der BBC-Reporter ihren Pfarrer, ob das stimmt, daß er die Frau vor der Hölle gewarnt habe? Der Pfarrer sagte: »Ja, auch bei Ansteckung und Todesgefahr sind Kondome nicht erlaubt. Ehefrauen, die sich bei ihrem AIDS-kranken Mann angesteckt haben, das sind die Märtyrerinnen für den Glauben unseres Jahrtausends.« Die Einschärfung der Höllenangst ist umso grotesker, als Jesus ein Antihöllenprediger war, dem man erst nachträglich Höllenphantasien in den Mund gelegt hat (siehe mein Buch »Nein und Amen«).

Angesichts dieser AIDS-Tragödien klage ich die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. an wegen jahrzehntelangen Verbrechens in Form von tödlicher Irreführung der Menschheit. Ich klage sie an, an Krankheit und Tod vieler Menschen die Schuld zu tragen mit ihrer unsinnigen, unerbittlichen Behauptung, daß Kondome Löcher hätten und in die Hölle führten. Ich verlange vom Vatikan, allen betroffenen Ehefrauen Afrikas und weltweit die medizinische Versorgung zu finanzieren und ihnen und ihren Familien Schadensersatz zu leisten. Die Pädophilieskandale haben die Kirche viel Geld gekostet. Ich sehe nicht ein, wieso HIV-Infizierung und Tötung von Ehefrauen nicht ebenfalls finanzielle Folgen für die Verursacher haben sollten.

 

Junge Welt 9.9.06