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Der Spitzel des Senators

Westberlins Innensenator Kurt Neubauer lieferte der Anklage einen V-Mann seines Verfassungsschutzes. Der Rohrleger Peter Urbach sollte Mahler ins Gefängnis bringen. Jetzt ist aus dem Fall Mahler ein Fall Neubauer geworden.

Ein Bericht von Jürgen Serke, Michael Seufert und Walter Unger
Stern Nr. 23/1971
, S. 32-36

 

Spätestens am 12. Verhandlungstag im Berliner Prozeß um die Gefangenenbefreiung des Kaufhaus-Brandstifters Andreas Baader war es Einsichtigen klar, daß der von der Staatsanwaltschaft zum Symbol der radikalen politischen Linken beförderte Rechtsanwalt Horst Mahler freigesprochen werden muß. An diesem Tag trat der 38jährige Polizeirat Dieter Krüger in den Zeugenstand des Kriminalgerichts Moabit und verschaffte dem angeklagten Rechtsanwalt ein Alibi, wie es besser nicht sein konnte. Polizeirat Krüger; »Wir haben Mahler sechs Tage lang rund um die Uhr observiert und nichts festgestellt.« Wir das war eine Sonderkommission der Berliner politischen Polizei, die just in den Tagen der Baader-Befreiung den Anwalt wegen angeblicher ,,verfassungsfeindlicher Tätigkeit" überwacht hatte. Seine Beamten, so erklärte Krüger dem Gericht, hatten keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, daß Horst Mahler in irgendeiner Weise am 14. Mai 1970 an der Gefangenenbefreiung von Andreas Baader beteiligt gewesen sei. Dennoch wurde Anklage gegen Horst Mahler erhoben, wurde die Anklage zugelassen, wurde das Hauptverfahren eröffnet, und bis zum Freispruch für Horst Mahler verhandelt. Warum, das wußte Polizeirat Krüger auch. Seine entlastenden Observationsergebnisse seien Innensenator Neubauer übergeben worden, aber auf Anweisung der Polizeiführung im Dezember letzten Jahres vernichtet worden.

Krügers Aussagen signalisierten, daß im Verfahren gegen Horst Mahler der Berliner Innensenator Kurt Neubauer der wahre Herr des Verfahrens war. Denn Neubauer war es auch, der einen Spitzel des Verfassungsschutzes in den Zeugenstand schickte: Mit dem Rohrleger Peter Urbach sollte endlich ein Mann präsentiert werden, der nicht wie alle anderen Zeugen der Anklage von Vermutungen lebte oder bei entscheidenden Fragen umfiel.

Der Freispruch des ,,Staatsfeindes" Mahler muß für Kurt Neubauer unerträglich sein. Denn die Intim-Feindschaft zwischen dem Angeklagten und dem hemdsärmeligen SPD-Karrieristen rührt noch aus jener Zeit, da Horst Mahler gerade auf dem Weg zum erfolgreichen Bürger-Advokaten war. Seit 1960 waren sie beide die Gladiatoren in der politischen Arena Westberlins — Neubauer in der rechten, Mahler in der linken Ecke. Und ein Jahrzehnt sammelten sie beide Punkte gegeneinander.

1960 bezog der damalige Referendar Horst Mahler die ersten Prügel. Als er im Stadtteil Charlottenburg Flugblätter gegen den Rechtskurs der Berliner Sozialdemokraten verteilte, stürzte Neubauer aus dem Rathaus und schlug erbost auf ihn ein.

Noch einmal saß Neubauer am längeren Hebel. Als Parteirichter sollte er über einen Ausschlußantrag gegen seinen Kontrahenten befinden. Anklage: Der Jungsozialist Mahler habe einem SPD-Mitglied gestattet, gegen die NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik Propaganda zu machen. Neubauers Sehnsucht, bei dieser Gelegenheit den lästigen Genossen loszuwerden, erfüllte sich nicht sofort. Erst nachdem der SDS auf die schwarze Liste gekommen war, flog das SDS/SPD-Mitglied Mahler aus der Partei, und Neubauer war eine Runde weiter.

Dann kam die Stunde Mahlers. Nachdem Neubauer sich nach der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg als starker Mann in den Sessel des Innensenators gehievt hatte und als er als ersten Kraftakt ein KZ für Demonstranten schaffen wollte, spuckte ihm der Studenten-Anwalt in die Suppe. Gegen den Willen seines auf Ausgleich bedachten Polizeipräsidenten Moch, den er wenig später feuerte, hatte Neubauer im Februar 1968 die Spandauer Polizeischule zu einem Vorbeuge-Lager umbauen lassen. ,,Allgemein bekannte potentielle Störer (Kommune-Mitglieder, pp)" sollten dort vorsorglich interniert werden. Mahler ging vor Gericht und ließ sich dort bescheinigen, daß die Neubauer-Pläne ein Verstoß gegen Recht und Gesetz waren.

,,Knüppel-Kurt“ (Apo-Jargon) freilich ließ sich in seinem harten Kurs nicht beirren. Neubauers Maxime: Bei militanten Demonstrationen sei ,,das adäquate Mittel bei der Polizei das gleiche oder eine Stufe höher". Der gelernte Feinmechaniker mit der groben Strategie schuf so in Berlin die Bürgerkriegsstimmung, die er zur Festigung seiner Macht für günstig hielt.

Als sich nach den Schüssen auf den SDS-Ideologen Rudi Dutschke abzeichnete, daß die geballte Kraft der Apo auseinanderbrach und die Linke sich in Flügelkämpfen zerfleischte, war die Stunde für Agents provocateurs vom Schlage des Peter Urbach gekommen. Denn Neubauer, der zu dieser Zeit an seinem Handgranaten-Gesetz bastelte, brauchte die Unruhe, um seinen widerspenstigen Parteigenossen zu beweisen, daß allein schwere Waffen bis hin zum Granatwerfer die Sicherheit der Halbstadt garantieren könnten.

Peter Urbach — 1941 in Posen geboren, Vater zweier Jungen, gelernter Klempner — erschien im Sommer 1967 auf der linken Bühne. Die Genossen waren glücklich, endlich nicht nur Akademiker, sondern auch einmal einen echten Arbeiter in ihren Reihen zu wissen. Den Mangel an sozialistischem Vokabular und ideologischer Standsicherheit sah man Urbach gern nach. Um so mehr schätzte man seine handwerklichen Talente. Er wurde zum Klempner der Kommunen.

Während Urbach in der K I, der Westberliner Ur-Kommune der Polit-Spaßvögel Teufel, Langhans und Kunzelmann, im Republikanischen Club, im Sozialistischen Zentrum, in Mahlers Anwaltskollektiv und zahllosen Wohngemeinschaften Wasserrohre legte, Klosettbecken installierte und Strippen zog, erfuhr er alles über die Linken, ihre Pläne und Aktionen. Er wurde damit zum idealen Spitzel von Senator Kurt Neubauers Verfassungsschutz.

Urbach begnügte sich nicht damit, die Ohren offenzuhalten. Emsig sorgte er dafür, daß die Springer-Presse ihre Schlagzeilen bekam und die angefachte Angst der Bevölkerung vor revolutionärem Terror nicht schwand: Urbach mauserte sich zum Aktivisten und fing an, mit Waffen, Sprengstoff und Rauschgift zu handeln. Dem Mitbegründer der ,,Roten Presse Korrespondenz", Hermann von Rohde, hot er Beretta-Pistolen gleich en gros an: ,,Ich habe eine Kiste mit 50 Polizeipistolen. Wenn mal der Aufstand losbricht, müssen wir doch bewaffnet sein."

Im März 1969 waren es nicht mehr Pistolen, sondern bereits Bomben und Brandsätze, mit denen Urbach hausierte. Gehetzt erschien er bei der K I und elf weiteren Kommunen: „Die wollen bei mir eine Haussuchung machen; stellt das Zeug doch mal unter." Prompt einen Tag später erschien die Polizei. Doch nur in der K I fand sie noch die untergejubelte Spitzelbombe. Die anderen Genossen hatten voller böser Ahnungen die Urbach-Präsente verschwinden lassen.

Als im Juli 1969 nach Westberlin geflüchtete Bundeswehr-Deserteure ihrem drohenden Abtransport nach Westdeutschland dadurch begegnen wollten, daß sie sich ordnungsgemäß bei der Polizei anmeldeten, versuchte Urbach diesen friedlichen Weg umzufunktionieren: Mit einem Lastwagen karrte er einen Stapel Holzbohlen vor die Polizeiwache Stephanstraße und empfahl sie als Rammböcke für einen Sturm auf das Revier.

Und wenn die Genossen Müdigkeit zeigten, möbelte er sie mit markigen Parolen auf: ,,Es muß was passieren! Wir wollen nicht quatschen! Alles muß brennen!" Den Brennstoff hatte er zur Hand. Der Sekretär des Republikanischen Clubs, Böhme: ,,In mehr als einem Fall hat Urbach Bomben an Genossen ausgehändigt und den Tip gleich mitgeliefert, wo sie am wirkungsvollsten zu zünden seien." Böhme verbürgt sich dafür, daß eine Reihe von Sprengstoffanschlägen bei bevorstehenden Prozessen noch eine sensationelle und politisch makabre Aufklärung finden wird. So soll auch der spektakuläre Blindgänger, der im November 1969 im Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses in Westberlin entdeckt wurde, dem Arsenal des Verfassungsschutz-Agenten entstammen.

Kurt Neubauer, der Dienstherr der Urbach-Auftraggeber, schweigt sich zu alldem aus. Auf die Frage des STERN, ob er es politisch verantworten könne, daß ein V-Mann wie Urbach zugleich Bombenlieferant sei, ließ er ausrichten: ,,Der Bürgermeister lehnt es ab, sich zu Fragen, die die Person von Herrn Urbach und seine Funktion als solche betreffen, vor einer rechtskräftigen Entscheidung im Mahler-Prozeß zu äußern."

Innensenator Neubauer hatte Horst Mahler vorm Prozeß bereits schuldig gesprochen. Mahlers Alibi, durch die Aussage von Polizeirat Krüger gesichert, wurde vom Ersten Staatsanwalt Nagel als Belastung für den Angeklagten eingestuft Es habe zum Plan Mahlers gehört — so Nagel —, sich Alibis für die Gefangenenbefreiung zu verschaffen. Für Nagel war deshalb sogar die Tatsache für Mahler belastend, da der Anwalt gerade zum Zeitpunkt der Gefangenenbefreiung als Verteidiger in einem Berliner Prozeß auftrat.

Der 39jahrige Ankläger: ,,Angesichts der außerordentlichen Verstrickung Horst Mahlers mit der Tätergruppe ist es ausgeschlossen, daß die vom gleichen Geist beseelten Täter ein Mitglied ihrer Gruppe über die geplante Aktion — zu der auch der rücksichtslose Gebrauch der mit sich geführten Schußwaffe gehörte — im unklaren gelassen haben würden." Horst Mahler sollte also schuldig sein, weil er mit politisch links stehenden Personen zusammengearbeitet hat.

Mahler-Verteidiger, Rechtsanwalt Otto Schily, erklärte in seinem Plädoyer: ,,Die Staatsanwaltschaft wäre besser beraten, die Frage zu stellen, ob es richtig ist, sich den Direktiven ihres politischen Auftraggebers so fügsam zu fügen. Noch muß es doch hierzulande möglich sein, einen Angeklagten, der politisch links steht und gegen den nichts als Spekulationen und Vermutungen vorliegen, freizusprechen." Landgerichtsdirektor Friedrich Geus machte es möglich — doch die Begründung seines Freispruchs war Balsam für den Staatsanwalt. Der Vorsitzende brachte es fertig, die Aussagen des Agenten Urbach als glaubwürdig zu bewerten. Geus: ,,Nur wegen einer winzigen Lücke in der Beweisführung waren wir nicht in der Lage, Horst Mahler zu verurteilen."

Und noch einen wollten Geus und seine Mitrichter nicht verurteilen: den Berliner Innensenator Kurt Neubauer, der versucht hatte, mit dem V-Mann Urbach in letzter Stunde den Prozeß zu wenden.

In der Urteilsbegründung des Landgerichtsdirektors wurde für Rechtens erklärt, was nicht Rechtens sein kann: die Beschneidung wesentlicher Rechte der Verteidigung durch die plötzliche Präsentation eines Zeugen, von dessen Existenz der Staatsanwalt bereits im Ermittlungsverfahren wußte, dessen Existenz aber der Verteidigung verschwiegen worden war. Denn der Spitzel Urbach sollte nach der Vorstellung Neubauers als Geheimwaffe gegen Horst Mahler verwendet werden.

Horst Mahler ist freigesprochen, aber er ist nicht frei. Mit dem Berliner Urteil gilt jetzt ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofes, nach dem Mahler an den Aktivitäten der Baader/Meinhof-Gruppe beteiligt ist. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe muß jetzt präsentieren, was sie gegen Mahler vorliegen hat,