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Der Spitzel des Senators
Westberlins Innensenator Kurt Neubauer
lieferte der Anklage einen V-Mann seines Verfassungsschutzes. Der
Rohrleger Peter Urbach sollte Mahler ins Gefängnis bringen. Jetzt ist
aus dem Fall Mahler ein Fall Neubauer geworden.
Ein Bericht von
Jürgen Serke, Michael Seufert und Walter Unger
Spätestens am 12. Verhandlungstag
im Berliner Prozeß um die
Gefangenenbefreiung
des Kaufhaus-Brandstifters
Andreas Baader
war es Einsichtigen klar, daß der von der
Staatsanwaltschaft
zum Symbol der
radikalen politischen Linken beförderte
Rechtsanwalt Horst Mahler freigesprochen
werden muß. An diesem
Tag trat der
38jährige Polizeirat Dieter Krüger
in den Zeugenstand
des Kriminalgerichts Moabit und verschaffte
dem angeklagten Rechtsanwalt ein Alibi, wie es besser nicht sein konnte.
Polizeirat Krüger;
»Wir haben
Mahler sechs Tage lang
rund um die Uhr observiert und nichts
festgestellt.« Wir —
das war eine
Sonderkommission der Berliner
politischen Polizei, die just in
den Tagen der
Baader-Befreiung
den Anwalt wegen
angeblicher ,,verfassungsfeindlicher Tätigkeit" überwacht hatte. Seine
Beamten, so erklärte Krüger dem Gericht, hatten keinen Anhaltspunkt
dafür gefunden, daß Horst Mahler in irgendeiner Weise
am 14. Mai 1970 an der Gefangenenbefreiung von Andreas Baader
beteiligt gewesen sei. Dennoch wurde Anklage gegen Horst Mahler
erhoben, wurde die Anklage zugelassen, wurde das Hauptverfahren
eröffnet, und bis zum Freispruch für Horst Mahler
verhandelt. Warum, das wußte Polizeirat Krüger auch.
Seine entlastenden Observationsergebnisse seien Innensenator Neubauer
übergeben worden, aber auf Anweisung der Polizeiführung im Dezember
letzten Jahres vernichtet worden. Krügers Aussagen signalisierten,
daß im Verfahren gegen Horst Mahler der Berliner
Innensenator Kurt Neubauer der wahre Herr des
Verfahrens war. Denn Neubauer war es auch, der einen
Spitzel des Verfassungsschutzes in den Zeugenstand schickte: Mit dem
Rohrleger Peter Urbach sollte endlich ein Mann
präsentiert werden, der nicht wie alle anderen Zeugen der Anklage von
Vermutungen lebte oder bei entscheidenden Fragen umfiel. Der Freispruch des
,,Staatsfeindes" Mahler muß für Kurt Neubauer
unerträglich sein. Denn die Intim-Feindschaft zwischen dem Angeklagten
und dem hemdsärmeligen SPD-Karrieristen rührt noch aus jener Zeit, da
Horst Mahler gerade auf dem Weg zum erfolgreichen
Bürger-Advokaten war. Seit 1960 waren sie beide die Gladiatoren in der
politischen Arena Westberlins — Neubauer in der
rechten, Mahler in der linken Ecke. Und ein Jahrzehnt
sammelten sie beide Punkte gegeneinander. 1960 bezog der damalige
Referendar Horst Mahler die ersten Prügel. Als er im
Stadtteil Charlottenburg Flugblätter gegen den Rechtskurs der Berliner
Sozialdemokraten verteilte, stürzte Neubauer aus dem Rathaus und schlug
erbost auf ihn ein. Noch einmal saß Neubauer
am längeren Hebel. Als Parteirichter sollte er über einen
Ausschlußantrag gegen seinen Kontrahenten befinden. Anklage: Der
Jungsozialist Mahler habe einem SPD-Mitglied gestattet,
gegen die NATO-Zugehörigkeit der Bundesrepublik Propaganda zu machen.
Neubauers Sehnsucht, bei dieser Gelegenheit den lästigen Genossen
loszuwerden, erfüllte sich nicht sofort. Erst nachdem der SDS auf die
schwarze Liste gekommen war, flog das SDS/SPD-Mitglied Mahler
aus der Partei, und Neubauer war eine Runde weiter. Dann kam die Stunde
Mahlers. Nachdem Neubauer sich nach der Erschießung des
Studenten Benno Ohnesorg als starker Mann in den Sessel
des Innensenators gehievt hatte und als er als ersten Kraftakt ein KZ
für Demonstranten schaffen wollte, spuckte ihm der Studenten-Anwalt in
die Suppe. Gegen den Willen seines auf Ausgleich bedachten
Polizeipräsidenten Moch, den er wenig später feuerte, hatte
Neubauer im Februar 1968 die Spandauer Polizeischule zu einem
Vorbeuge-Lager umbauen lassen. ,,Allgemein bekannte potentielle Störer
(Kommune-Mitglieder, pp)" sollten dort vorsorglich interniert werden.
Mahler ging vor Gericht und ließ sich dort
bescheinigen, daß die Neubauer-Pläne ein Verstoß gegen
Recht und Gesetz waren. ,,Knüppel-Kurt“
(Apo-Jargon) freilich ließ sich in seinem harten Kurs nicht beirren.
Neubauers Maxime: Bei militanten Demonstrationen sei
,,das adäquate Mittel bei der Polizei das gleiche oder eine Stufe
höher". Der gelernte Feinmechaniker mit der groben Strategie schuf so in
Berlin die Bürgerkriegsstimmung, die er zur Festigung seiner Macht für
günstig hielt. Als sich nach den Schüssen auf
den SDS-Ideologen Rudi Dutschke abzeichnete, daß die
geballte Kraft der Apo auseinanderbrach und die Linke sich in
Flügelkämpfen zerfleischte, war die Stunde für Agents provocateurs vom
Schlage des Peter Urbach gekommen. Denn
Neubauer, der zu dieser Zeit an seinem Handgranaten-Gesetz
bastelte, brauchte die Unruhe, um seinen widerspenstigen Parteigenossen
zu beweisen, daß allein schwere Waffen bis hin zum Granatwerfer die
Sicherheit der Halbstadt garantieren könnten.
Peter Urbach — 1941 in Posen
geboren, Vater zweier Jungen, gelernter Klempner — erschien im Sommer
1967 auf der linken Bühne. Die Genossen waren glücklich, endlich nicht
nur Akademiker, sondern auch einmal einen echten Arbeiter in ihren
Reihen zu wissen. Den Mangel an sozialistischem Vokabular und
ideologischer Standsicherheit sah man Urbach gern nach.
Um so mehr schätzte man seine handwerklichen Talente. Er wurde zum
Klempner der Kommunen.
Während Urbach in der K I, der
Westberliner Ur-Kommune der Polit-Spaßvögel Teufel, Langhans
und Kunzelmann, im Republikanischen Club, im
Sozialistischen Zentrum, in Mahlers Anwaltskollektiv und zahllosen
Wohngemeinschaften Wasserrohre legte, Klosettbecken installierte und
Strippen zog, erfuhr er alles über die Linken, ihre Pläne und Aktionen.
Er wurde damit zum idealen Spitzel von Senator Kurt Neubauers
Verfassungsschutz. Urbach begnügte sich nicht
damit, die Ohren offenzuhalten. Emsig sorgte er dafür, daß die
Springer-Presse ihre Schlagzeilen bekam und die angefachte Angst der
Bevölkerung vor revolutionärem Terror nicht schwand: Urbach
mauserte sich zum Aktivisten und fing an, mit Waffen, Sprengstoff und
Rauschgift zu handeln. Dem Mitbegründer der ,,Roten Presse
Korrespondenz", Hermann von Rohde, hot er
Beretta-Pistolen gleich en gros an: ,,Ich habe eine Kiste mit 50
Polizeipistolen. Wenn mal der Aufstand losbricht, müssen wir doch
bewaffnet sein." Im März 1969 waren es nicht mehr
Pistolen, sondern bereits Bomben und Brandsätze, mit denen
Urbach hausierte. Gehetzt erschien er bei der K I und elf
weiteren Kommunen: „Die wollen bei mir eine Haussuchung machen; stellt
das Zeug doch mal unter." Prompt einen Tag später erschien die Polizei.
Doch nur in der K I fand sie noch die untergejubelte Spitzelbombe. Die
anderen Genossen hatten voller böser Ahnungen die Urbach-Präsente
verschwinden lassen. Als im Juli 1969 nach Westberlin
geflüchtete Bundeswehr-Deserteure ihrem drohenden Abtransport nach
Westdeutschland dadurch begegnen wollten, daß sie sich ordnungsgemäß bei
der Polizei anmeldeten, versuchte Urbach diesen
friedlichen Weg umzufunktionieren: Mit einem Lastwagen karrte er einen
Stapel Holzbohlen vor die Polizeiwache Stephanstraße und empfahl sie als
Rammböcke für einen Sturm auf das Revier. Und wenn die Genossen Müdigkeit
zeigten, möbelte er sie mit markigen Parolen auf: ,,Es muß was
passieren! Wir wollen nicht quatschen! Alles muß brennen!" Den
Brennstoff hatte er zur Hand. Der Sekretär des Republikanischen Clubs,
Böhme: ,,In mehr als einem Fall hat Urbach
Bomben an Genossen ausgehändigt und den Tip gleich mitgeliefert, wo sie
am wirkungsvollsten zu zünden seien." Böhme verbürgt
sich dafür, daß eine Reihe von Sprengstoffanschlägen bei bevorstehenden
Prozessen noch eine sensationelle und politisch makabre Aufklärung
finden wird. So soll auch der spektakuläre Blindgänger, der im November
1969 im Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses in
Westberlin entdeckt wurde, dem Arsenal des Verfassungsschutz-Agenten
entstammen. Kurt Neubauer, der Dienstherr
der Urbach-Auftraggeber, schweigt sich zu alldem aus.
Auf die Frage des STERN, ob er es politisch verantworten könne, daß ein
V-Mann wie Urbach zugleich Bombenlieferant sei, ließ er ausrichten: ,,Der
Bürgermeister lehnt es ab, sich zu Fragen, die die Person von Herrn
Urbach und seine Funktion als solche betreffen, vor einer
rechtskräftigen Entscheidung im Mahler-Prozeß zu äußern." Innensenator Neubauer
hatte Horst Mahler vorm Prozeß bereits
schuldig gesprochen. Mahlers Alibi, durch die Aussage von
Polizeirat Krüger gesichert, wurde vom Ersten
Staatsanwalt Nagel als Belastung für den Angeklagten eingestuft
Es habe zum Plan Mahlers gehört — so Nagel —, sich
Alibis für die Gefangenenbefreiung zu verschaffen. Für Nagel
war deshalb sogar die Tatsache für Mahler belastend, da der
Anwalt gerade zum Zeitpunkt der Gefangenenbefreiung als Verteidiger in
einem Berliner Prozeß auftrat. Der 39jahrige Ankläger:
,,Angesichts der außerordentlichen Verstrickung Horst Mahlers mit der
Tätergruppe ist es ausgeschlossen, daß die vom gleichen Geist beseelten
Täter ein Mitglied ihrer Gruppe über die geplante Aktion — zu der auch
der rücksichtslose Gebrauch der mit sich geführten Schußwaffe gehörte —
im unklaren gelassen haben würden." Horst Mahler
sollte also schuldig sein, weil er mit politisch links stehenden
Personen zusammengearbeitet hat. Mahler-Verteidiger, Rechtsanwalt
Otto Schily, erklärte in seinem Plädoyer: ,,Die
Staatsanwaltschaft wäre besser beraten, die Frage zu stellen, ob es
richtig ist, sich den Direktiven ihres politischen Auftraggebers so
fügsam zu fügen. Noch muß es doch hierzulande möglich sein, einen
Angeklagten, der politisch links steht und gegen den nichts als
Spekulationen und Vermutungen vorliegen, freizusprechen."
Landgerichtsdirektor Friedrich Geus machte es möglich — doch
die Begründung seines Freispruchs war Balsam für den Staatsanwalt. Der
Vorsitzende brachte es fertig, die Aussagen des Agenten Urbach
als glaubwürdig zu bewerten. Geus: ,,Nur wegen
einer winzigen Lücke in der Beweisführung waren wir nicht in der Lage,
Horst Mahler zu verurteilen." Und noch einen wollten
Geus und seine Mitrichter nicht verurteilen: den Berliner
Innensenator Kurt Neubauer, der versucht hatte, mit dem
V-Mann Urbach in letzter Stunde den Prozeß zu wenden. In der Urteilsbegründung des
Landgerichtsdirektors wurde für Rechtens erklärt, was nicht Rechtens
sein kann: die Beschneidung wesentlicher Rechte der Verteidigung durch
die plötzliche Präsentation eines Zeugen, von dessen Existenz der
Staatsanwalt bereits im Ermittlungsverfahren wußte, dessen Existenz aber
der Verteidigung verschwiegen worden war. Denn der Spitzel
Urbach sollte nach der Vorstellung Neubauers als Geheimwaffe
gegen Horst Mahler verwendet werden.
Horst Mahler ist freigesprochen,
aber er ist nicht frei. Mit dem Berliner Urteil gilt jetzt ein
Haftbefehl des Bundesgerichtshofes, nach dem Mahler an den Aktivitäten
der Baader/Meinhof-Gruppe beteiligt ist. Die
Bundesanwaltschaft in Karlsruhe muß jetzt präsentieren, was sie gegen
Mahler vorliegen hat, |