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Heide Berndt - Ein Nachruf
Auf
der Trauerfeier am 13. März 2003 sprachen neben ihrem Sohn Frank Lämmer,
ihre Schwester Gisela Branscheidt, Günter Langer, Christine Labonté
und Hanna Kröger.
1938 als mittlere von drei Schwestern geboren, Kindheit in Posen verbracht, weil Vater als "Okkupant" dorthin gegangen war. Nach dem Krieg die Jugend in Frankfurt/M erlebt. Kindheit und Jugend nicht glücklich: Sie fühlte sich gegenüber den Geschwistern zurückgesetzt, ihr künstlerisches Talent wurde von den Eltern nicht gewürdigt, das Linkshändertum wurde ihr abgewöhnt und wegen ihres Magerseins erhielt sie den Spitznamen "Gandhi". Ihre Schlagfertigkeit und "spitze Zunge" kam beim Vater nicht gut an, er hasste intelligente Frauen und nannte sie daher unentwegt "Blaustrumpf", "Intelligenzbestie" oder "scharfzüngige Xantippe". Die Trennung der Eltern wurde für Heide zum Glücksfall: Der Scheidungsvertrag stand ihr das Abitur und ein Studium zu. 1959 begann sie ihr Soziologiestudium in Frankfurt/M. Anfang der 60er fand sie den Weg nach Berlin zum Argumentclub, wo sie im Arbeitskreis "Sexualität und Herrschaft" mitwirkte. Das Studium schloss sie 1966 mit dem Thema "Das Gesellschaftsbild bei Stadtplanern" ab. Sie wurde Assistentin bei Mitscherlich und ging 1979 an die Fachhochschule für Sozialarbeit in Berlin. 1963 trat sie in den SDS ein, betrachtete sich aber nicht als Revolutionärin, nicht mal als Sozialistin. Sie verstand sich als "antiautoritär", für sie war das Private politisch, "68" bedeutete für sie vor allem "nein" sagen zu können. Von 1965 bis 1969 unterhielt sie eine Liebesbeziehung mit dem damaligen Bundesvorsitzenden des SDS, Helmut Schauer, die "schönste Zeit" ihres Lebens. 1974 gebar sie ihren Sohn, Frank Lämmer. Theoretisch verstand sie sich als "Adornidin". Sie kannte sich im Schrifttum der Frankfurter Schule aus wie sonst kaum jemand. Im Sommer 2003 sollte sie emeritiert werden, dann sollte das "eigentliche Leben" erst richtig anfangen. Es sollte ihr Zeit geben, endlich die ersehnte "Spur" zu schaffen. Sie plante das große Werk zur 68er Revolte, ein weiteres zur Neueinschätzung von Max Weber und Alice Salomon. Für Heide waren die verborgenen, geheimen, ja verbotenen Beziehungen die entscheidenden Grundlagen für die wissenschaftliche Arbeit. Werke zur Pharmakologie und Stadtplanung sollten folgen. Sie kümmerte sich intensiv um die Schicksale psychiatriegeschädigter Patienten und ihrer Angehörigen. Dazu veranstaltete sie gemeinsam mit einem Kollegen ein Psychose-Seminar, eine Veranstaltung, die ihr sehr wichtig war. Sie hatte vielfältige Kooperationen mit der Praxis, war überzeugt, dass man nur gemeinsam bessere Bedingungen für die Patienten schaffen könne und arbeitete daran aktiv mit, z. B. im Projekt Wohnen für psychisch kranke Menschen oder in der Berliner Gesellschaft für Soziale Psychiatrie. Seit 1997, anlässlich des Benno-Ohnesorg-Kongresses, begann sie 68 aufzuarbeiten. Für ihr Buchprojekt schrieb sie bis heute rund 1000 Seiten, machte Dutzende von Interviews mit GenossInnen in Frankfurt und Berlin. Sie beteiligte sich an der Vorbereitung und Durchführung der monatlichen SDS-VeteranInnen-Treffs und schließlich auch an der SDS-Biographiegruppe. Auch die Ostertaz 1998 zum 30. Jahrestag von 68 und das dreitägige Ruckfestival im Tempodrom lag ihr sehr am Herzen. In dieser Zeit produzierte sie überdies rund 600 Seiten Tagebuch, ein hochinteressantes Dokument. Hier kam sie ihrem Wunsch am nächsten, "aus unserem Handeln, aus unseren Biographien politische Kategorien" herauszufiltern. Aus ihrer eigenen Gewissheit - "ich will mindestens 90 Jahre alt werden" - wurde leider nichts: Am 22. Februar 2003 wachte Heide völlig unerwartet nicht mehr auf.
Zum Andenken an Heide BerndtAm 22. Februar 2003 verstarb unerwartet Heide Berndt, Professorin
an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin
im 65. Lebensjahr. Danach erschienen von ihr zahlreiche Aufsätze zur Sozialpsychologie, Sozialarbeit, zur Geschichte der Sozialhygiene und zuletzt ein Beitrag über die Krankheit von Max Weber. Ihre drei großen Buchprojekte, an denen sie seit vielen Jahren gleichzeitig arbeitete, bleiben vermutlich ohne Abschluss: ihre 'Briefe an Teddy', die den 'Geist' der 68er-Bewegung in seinen humanen Ambitionen mit Bezug auf den verehrten Lehrer Adorno einfühlsam spiegelten; ihre Arbeit über Ziel und Bedeutung der Frankfurter anti-autoritären Kinderläden; und das ehrgeizige Buchprojekt über die Personen und Motive der 68er, von denen sie eine große Zahl persönlich kannte und die sie - wie gut hundert Personen mehr - in den letzten Jahren interviewte. Heide Berndt bleibt allen Freunden unvergessen, weil sie mit ihrem Wesen und ihrer unverzagten Beharrlichkeit in der Sache für das einstand, worauf die Kritische Theorie und die 68er-Bewegung hinaus wollten. Bernhard Schäfers http://www.stareg.uni-bremen.de/pages/nachruf.php
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