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«Die Mitte des Lebens ist etwa 50 und wird als zweite Pubertät empfunden». Trendforscher PETER WIPPERMANN über Sex im Alter, das Bad als Privat-Spa und Quarter-Life-Krisen VON SILKE BENDER
Zukunftsforscher Peter Wippermann kennt sich aus mit menschlichen
Bedürfnissen und deren Veränderungen und übersetzt diese in
Voraussagen über zukünftige Konsumtrends und Lebensstile. Sein
Hamburger Trendbüro gilt seit 1992 als zuverlässiges Orakel für
Prognosen, wie wir morgen leben werden. Gerade veröffentlichte er
zusammen mit Corinna Langwieser das Buch «Länger leben, länger
lieben Das Lebensgefühl der Generation Silver Sex».
Sie sind 57 und nennen sich Dauerjugendlicher. Was ist darunter zu
verstehen?
Als meine Generation jung war, glaubten wir, nie alt zu werden. «Trau
keinem über 30» war unser Motto. Alt, das waren immer nur die anderen.
Wir haben in den Sechzigern die Jugendkultur erfunden und sind mit
ihr alt geworden, ohne das begriffen zu haben. Viele gründen wie
ich erst spät eine Familie meine Tochter ist dreieinhalb Jahre.
Sie würden von einer neuen Definition des Alters sprechen?
Die Biografien von heute definieren sich eher über das «gefühlte
Alter» als über die tatsächlichen Lebensjahre, die als solche immer
weniger über einen Menschen aussagen.
Wie ist denn Ihr gefühltes Alter?
Mitte 30. Das wahre Alter minus 15 Jahre geben übrigens die meisten
Menschen an. Die heute 50Jährigen sind also die neuen 35Jährigen.
Und das hat nichts mit Selbstbetrug zu tun, sondern mit der höheren
Lebenserwartung für jeden, die sich statistisch alle vier Jahre um
ein Jahr erhöht. Die meisten Menschen pflegen sich besser, leben
gesünder und bleiben dadurch tatsächlich länger jung. Die Mitte des
Lebens ist heute etwa 50 Jahre und wird von vielen als eine zweite
Pubertät empfunden: Als Zeit, sein bisheriges Leben zu überprüfen
und vielleicht neue Weichen zu stellen.
Reife beim Wein oder beim Käse gilt als Qualitätsmerkmal. Beim
Menschen offensichtlich nicht mehr...
Ganz klar, das Alter, so wie wir es früher definiert haben, ist
einfach nicht mehr sexy und wird es auch nicht mehr werden. Es wird
als Krankheit empfunden. Das ist der Bumerang, den wir damals
geworfen haben und der uns nun mit aller Härte trifft
Wieso?
Es gibt noch keine Vorbilder für die neuen Alten von heute. Und
nebenbei wurde ja auch die Kindheit abgeschafft. Der Druck der
Leistungsgesellschaft
trifft schon die Kleinsten: Im Vorschulalter erlernen viele die
erste Fremdsprache, man wechselt von der Windel quasi ins
Berufsleben. Die Jugend ist das Einzige, was heute als
erstrebenswert gelebt und genossen wird. Anders gesagt: Das Ideal
des nie fertig werdenden Erwachsenen
Warum haben sich die Werte so verschoben?
Mit der Anti-Baby-Pille wurde die sexuelle Revolution möglich und
mit ihr die Chance, seine Biografie selbst zu bestimmen, sich von
klassischen, lebenslangen Familienverbänden zu lösen. Durch den
Individualismus, die sexuelle Freizügigkeit und die de facto nie
abgeschlossene Partnersuche ist die eigene Attraktivität wichtig
geworden. Jeder macht Werbung für sich selbst der Körper wird zum
Mittelpunkt der eigenen Welt.
Wie weit dreht sich die Spirale des Jugendkults noch?
Es gibt keine Anzeichen der Entwarnung. Meine Studentinnen an der
Uni haben ihre erste Quarterlife- Krise mit 25 und machen sich da
schon Gedanken über Falten und die jüngeren Frauen, wegen denen sie
verlassen werden. Nach dem Scheitern der grossen gesellschaftlichen
Ideologien wurden diese durch Oberflächlichkeit ersetzt. Die
Rebellion gegen bestehende Verhältnisse hat sich auf den eigenen
Körper zurückgezogen das Einzige, was man noch kontrollieren und
gestalten zu können glaubt. Unsere Haut, unser Fleisch ist nach
Holz, Stahl und Plastik der Werkstoff der Zukunft.
Das Leben und der eigene Körper ein permanenter Designprozess?
Ja, darauf müssen wir uns einstellen. Das Allensbach-Institut hat
diesen dramatischen Wandel bestätigt: Den meisten Menschen ist die
Anerkennung durch andere wichtiger geworden als die Selbstachtung.
Um nicht zu den Verlierern zu zählen, den unattraktiven Alten,
müssen wir uns fit, jung und up-to-date halten.
Klingt anstrengend. Liegt denn in der viel beschworenen
Work-Life-Balance ein wenig Entspannung?
Das Thema ist durch. Der Leistungsdruck ist zu gross geworden und
wird es bleiben. Nicht umsonst sind die Krankschreibungen auf dem
niedrigsten Stand seit ihrer Geschichte. Die Leute beuten sich aus,
sie haben faktisch eigentlich keine Zeit mehr für die Erhaltung ihrer
Vitalität. Man kauft sich Sportklamotten, geht aber nicht trainieren.
Man baut sich Kuscheloasen daheim und stellt sich Relax-Sofas hin, um
sich dann doch wieder vom Handy stressen zu lassen.
Der Homing-Trend im Interieurbereich ist also eine Farce? Entspannter
Genuss lässt sich nicht kaufen?
30 Prozent aller Heilerfolge sind Placebo-Effekte. Warum sollte das
bei der Einrichtung anders sein? Schönes Design ob nun ein Möbel
oder der Körper hat ja auch mit Lust zu tun und mit
Erfolgsüberraschungen. Wir werden ja gelobt, wenn wir das gut
hinbekommen.
Und dann entspannen wir uns. Es ist kein Wunder, dass die
Design-Ideen der Sechzigerjahre heute so gut von den Jungen
angenommen werden und seit zehn Jahren ein permanentes Revival
erfahren. Das wird noch lange so bleiben: Die Essenz eines
Verner-Panton-Raumdesigns könnte man als Streben nach vollkommener
Kontrolle über Emotionalität und Funktionalität
beschreiben.
Was kommt noch auf uns zu?
Am meisten werden sich die Wohnbereiche verändern, die auf unseren
Körper zielen: Das Bad und die Küche. Das Bad wird als Privat-Spa
auch in Zukunft wichtig bleiben. Schliesslich wird hier an unserer
wichtigsten Werbefläche modelliert. Medizinische Kleingeräte oder
ein Spiegel, der uns mittels Computerprogramm ein Feedback über
Gewicht und Körperform gibt, werden kommen. Der Health-Style wird
auch die Küche einnehmen, auch wenn dort immer weniger gekocht wird.
Die Trends in Mode, Design und Lifestyle sind dennoch vielschichtig.
Wie findet der Einzelne da am besten seine Koordinaten?
Die Codes und Stile werden heute wie im Mittelalter wieder über ein
ständisches Denken, nicht so sehr über Individualität, definiert.
Die Individualität ist nur im ganz Kleinen auszumachen.
Im privaten Expertentum für ein bestimmtes Auto, den besonderen Essig
oder das Original-Möbel?
Nein, weil für die wahre Kennerschaft ausserhalb des Berufs kaum
Zeit bleibt. Wer heute ein Spezialist einer bestimmten Materie ist,
macht meist einen Beruf draus und sich zum Unternehmer bei Ebay,
Spreadshirt oder Etsy.
Welche besondere Kennerschaft besitzen Sie?
Ausserhalb meines Berufs gönne ich mir den Luxus, kein Kenner zu
sein. Wenn mir ein Rotwein schmeckt, frage ich nach dem Weingut,
bestelle ich ihn mir übers Internet und mache mir lieber Gedanken
darüber, warum plötzlich manche Rotweine beliebter sind als andere.
Ich kann Arbeit und Beruf nicht trennen.
sonntagszeitung 08/04/2007, Seite 95 |