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INGRID KURZ-SCHERF
„Freier Geist – mutige Frau“
Zum Gedenken an Annemarie (Anna)
Tröger
Nachdem Annemarie (Anna) Tröger nach langer und
schwerer Krankheit dann aber doch überraschend und viel zu früh
gestorben war, gab es ein kleines Gerangel unter Freundinnen und
Weggefährtinnen in der Frage, ob in einer Traueranzeige einzelne ihrer
Wirkungsfelder besonders hervorgehoben werden sollten. Es blieb bei
einem sehr kurzen Text: „Wir nehmen Abschied von Annemarie (Anna) Tröger,
8.12.1939 bis 18.2.2013. Freier Geist – Mutige Frau. Sie hat viel bewegt
und bleibt unserem Leben verbunden“.[1] Annemarie hat so vieles und so viele bewegt, dass
auch dieser Nachruf ihr nicht wirklich gerecht werden kann. Nicht nur
die Fülle ihres Lebens sprengt das Korsett der Zeilenvorgaben für einen
Nachruf, sie hat auch viele Anstöße gegeben und Spuren hinterlassen, die
nicht so offensichtlich mit ihrem Namen gekennzeichnet sind, wie das z.B.
in klassisch-akademischen oder klassisch-politischen Karrieren der Fall
ist. Annemarie hat keine Karriere gemacht, sondern – pathetisch
formuliert – Geschichte. Frauengeschichte, aber nicht nur das. In
unterschiedlicher Intensität „war“ Annemarie Tröger die „Frauengruppe
Faschismusforschung“ an der FU Berlin. Die Anstöße, die sie in diesem
Rahmen gegeben hat, gehen weit über die bis heute anhaltende Rezeption
ihrer diesbezüglichen Publikationen hinaus (vgl. u.a. Tröger 1977a,
1981a). Annemarie Tröger „war“ auch die „Gruppe Berliner Dozentinnen“,
die die erste Berliner Sommeruniversität für Frauen im Juli 1976
initiiert, organisiert und dokumentiert hat (vgl. Tröger 1977b); sie
„war“ ebenfalls die „Vorbereitungsgruppe“ und die „Dokumentationsgruppe“
der 2. Berliner Sommeruniversität im Oktober 1977 (vgl.
Dokumentationsgruppe 1978, Vorbereitungsgruppe 1978); sie „war“ in
Berlin die „Gruppe erwerbsloser Frauen“ und sie „war“ die bundesweite
Initiativgruppe zur Gründung eines Sachverständigen
♀-Rats,
der schon in den 1980er Jahren als feministischer Einspruch gegen den
wirtschaftsliberalen Dogmatismus des sog. Sachverständigenrats wirksam
werden sollte. Annemarie Tröger war ein politischer Mensch, eine
femina politica. Sie war
Wissenschaftlerin, Aktivistin, Netzwerkerin, sie wollte politisch
eingreifen und sie hat auch eingegriffen – beispielsweise hat sie die
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in die entstehende
Frauenbewegung eingebracht, aber sie hat auch „die Fragestellungen,
Inhalte und Forderungen der Frauenbewegung“ (Tröger 1977b, 14) in die
Universität im Allgemeinen und die Faschismusforschung im Besonderen
hineingetragen. Die neue Frauenbewegung war schon in ihren Anfängen
nicht nur nach außen, sondern auch nach innen eine höchst streitbare
Bewegung. Sie lebte gleichsam aus ihren mehr oder minder harten
Kontroversen – etwa um das Verhältnis der Frauenfrage zur Kinder- bzw.
Mütterfrage auf der einen Seite und zur sozialen Frage auf der anderen
Seite, um das politische Verhältnis nicht nur zwischen Feminismus und
Marxismus, sondern auch zwischen Feminismus und lesbischer Lebenspraxis,
um die Forderung nach Lohn für Hausarbeit oder die nach Quotierung der
qualifizierten Arbeits- und Ausbildungsplätze, um das Autonomiekonzept
der Frauenbewegung, ihr Verhältnis zu linken Gruppierungen und Parteien
wie zu den Gewerkschaften und zum Staat. Annemarie Tröger hat in diesen
Kontroversen nicht nur kämpferisch Position bezogen, sie hat sie
teilweise auch initiiert und ihnen zu einem Forum verholfen – sei es bei
den Sommeruniversitäten, zu denen 1000e von Frauen in die
„Rostlaube“ der Freien Universität Berlin strömten oder sei es
durch ihre Beteiligung an der Herausgabe und Redaktion der
Feministischen Studien, als einem eigenständigen Organ der
feministischen Debatte.[2] Ich selbst bin Annemarie Tröger das erste Mal Mitte
der 1970er Jahre im Frauenzentrum Berlin, Stresemannstr. 11, begegnet;
sie – die fast 10 Jahre ältere – hat mich sehr beeindruckt. Sie war sehr
schön, wirkte sehr selbstbewusst, war ungeheuer klug und eloquent. Sie
war eine feministisch-sozialistische Intellektuelle, wie ich es gerne
sein oder wenigstens einmal werden wollte. Sie hatte einen bürgerlichen,
eher groß- und bildungsbürgerlichen Habitus und stammte auch aus
entsprechenden Verhältnissen. Sie war allerdings 1939 in Jena nur in
eben diese Verhältnisse hineingeboren, aber schon als Kind (durch den
Krieg und die danach erzwungene Umsiedlung ihrer durch Enteignung
mittellos gewordenen Familie) wieder aus ihnen hinausgeschleudert worden.
Ich weiß nicht, wie und warum Annemarie zur Sozialistin, zur
Antikapitalistin, zur Gegnerin westdeutscher Nachkriegsnormalitäten
wurde; jedenfalls trat sie schon als junge Studentin Anfang der 1960er
Jahre in Göttingen dem SDS bei und blieb in Berlin Mitglied dieser
Organisation bis zu ihrer Selbstauflösung. Dabei hatte Annemarie
allerdings von Anfang an – nach eigenem, auch öffentlich dokumentiertem
Bekunden (vgl. Tröger 1998,
215) –immer schon Simone de Beauvoirs Erörterungen über „Das andere
Geschlecht“ im Gepäck und im Kopf. Damit ausgestattet und als „freier
Geist und mutige Frau“ erlebte sie den „real-existierenden Sozialismus“
nicht nur in der DDR, sondern auch in den Varianten, die sich im SDS und
seinen männerdominierten Nachfolgeorganisationen herausgebildet hatten,
als eine durch und durch männerbündische Inszenierung, die sich mit der
Marginalisierung von Frauen auch zentraler Herausforderungen
sozialistischer Politik entledigt hatte[3].. Annemarie Tröger: sozialistische Feministin –
feministische Sozialistin? Für große Teil der neuen, autonomen
Frauenbewegung waren Sozialismus und Feminismus oder – anders formuliert
– Antikapitalismus und Antisexismus eng ineinander verschlungene
Projekte – nur dass viele derjenigen, die sich den Sozialismus und
Antikapitalismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten, dies in
patriarchaler Verblendung nicht nur nicht verstanden hatten, sondern „ihren“
Sozialismus und Antikapitalismus teils gezielt, teils unreflektiert als
Legitimationsstrategie ihres tiefgreifenden Antifeminismus und Sexismus
inszenierten. Auch unter tätiger Mithilfe von Frauen. Umgekehrt
instrumentalisierten Teile der Frauenbewegung „ihren“ Feminismus als
Legitimationsstrategie eines nicht minder tief verwurzelten Elitarismus.
Im Großen und Ganzen suchte die autonome Frauenbewegung aber vor allem
nach Auswegen aus den falschen Konfrontationen zwischen
bürgerlich-liberalem und proletarisch-sozialistischem Feminismus, an
denen schon die erste Frauenbewegung gescheitert war. Annemarie Tröger
hat diese Suche u.a. dadurch ermutigt, dass sie der westdeutschen
Frauenbewegung das Leben und Wirken der russischen Revolutionärin
Alexandra Kollontai, einer „sexuell emanzipierten Kommunistin“
(Kollontai 1926), erschlossen hat, also einer Frau die – wie sie selbst
– beides war: „Sozialistin und Feministin“ und doch gleichzeitig „zwischen
Feminismus und Sozialismus“ (Tröger 1976) stand. Als sich die neue Frauenbewegung als Bewegung immer
mehr in den Institutionen, in die sie hineinwirkte, und in den Projekten,
die sie hervorgebracht hatte, auflöste, ließ sie einen nicht
unbeträchtlichen Teil ihrer Begründerinnen und Aktivistinnen zurück.
Manche haben das nicht verkraftet. Auch Annemarie durchlebte diese
Entwicklung phasenweise als persönliche Krise. Letztendlich nannte sie
sich dann nicht mehr Annemarie, sondern Anna, knüpfte mit vielen
Weiterbildungen und Aktivitäten neu an ihr Studium als
Diplom-Psychologin an und praktizierte – so lange und so weit ihr dies
gesundheitlich möglich war - als Psychotherapeutin. selbstverständlich
wieder in einem kollektiven Zusammenhang in politischer Absicht: dem
Verein freier Psychotherapeuten (www.freie-psychotherapeuten-berlin.de).
Auch als praktizierende Psychotherapeutin blieb
Annemarie Tröger eine femina
politica, aber als solche und in ihrem Wirken im Entstehen der neuen
Frauenbewegung ist sie den Jüngeren, die sich heute dem Feminismus mehr
oder minder streitbar verbunden fühlen, kaum mehr bekannt; ihr Name
taucht in den jüngeren Publikationen zur Geschichte der neuen
Frauenbewegung nicht auf. Diese Geschichte – das ist mir nicht erst bei
den Recherchen für diesen Nachruf aufgefallen – wird erstaunlich
unpersönlich erinnert und erzählt; dabei hatte sich doch gerade die neue
Frauenbewegung (in Opposition zur üblichen Stellvertreterpolitik) die
Politik im eigenen Namen und in der ersten Person zur Aufgabe gemacht.[4]
Aber dies geschah gerade bei denjenigen, die die neue Frauenbewegung
überhaupt erst in Bewegung gesetzt haben, in kollektiven Formen, also in
Frauengruppen, -zentren, -projekten und -initiativen. Der Tod von
Annemarie Tröger und die Trauer um sie sollte uns, die wir uns
wissentlich oder unwissentlich in den Spuren bewegen, die sie und andere
uns hinterlassen haben, Ansporn sein, diese Spuren auch namentlich zu
kennzeichnen. Literatur[5] Kollontai,
Alexandra, 1926 (1989): Autobiographie einer sexuell emanzipierten
Kommunistin. Berlin. Tröger,
Annemarie, 1976: Alexandra Kollontai: Zwischen Feminismus und
Sozialismus. In: Fichter, Tilman (Hg.): Alexandra Kollontai. Die
Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung. Vierzehn
Vorlesungen vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen an der Sverdlov-Universität
1921, 2. Aufl. Frankfurt/Main, 243-264. Tröger,
Annemarie, 1977a: Die Dolchstoßlegende der Linken: „Frauen haben Hitler
an die Macht gebracht“. In: Gruppe Berliner Dozentinnen (Hg.): Frauen
und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen.
Juli 1976. Berlin, 324-355. Tröger,
Annemarie, 1977b: Einleitende Bemerkungen. In: Gruppe Berliner
Dozentinnen (Hg.): Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner
Sommeruniversität für Frauen. Juli 1976, Berlin, 13 f. Tröger,
Annemarie, 1981a: Die Frau im wesensgemäßen Einsatz. In: Frauengruppe
Faschismusforschung (Hg.): Mutterkreuz und Arbeitsbuch: zur Geschichte
der Frauen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus.
Frankfurt/Main. Tröger,
Annemarie, 1981b: „Ich komme da mit den feministischen Gedanken nicht
mit…“: ein Versuch Forschung feministisch zu betreiben. In: Beiträge zur
feministischen Theorie und Praxis. 4 (5), 39-50.
Dokumentationsgruppe der Sommeruniversität (Hg.), 1978: Frauen als
bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte. Beiträge zur 2. Berliner
Sommeruniversität für Frauen. Oktober 1977. Berlin. Träger,
Annemarie, 1978: Was hat Weiterbildung mit feministischer Wissenschaft
zu tun? In: Dokumentationsgruppe (Hg.): Frauen als bezahlte und
unbezahlte Arbeitskräfte. Beiträge zur 2. Berliner Sommeruniversität für
Frauen. Oktober 1977. Berlin, 8-13.
Vorbereitungsgruppe, 1978: Rückblick der Vorbereitungsgruppe. In:
Dokumentationsgruppe der Sommeruniversität (Hg.): Frauen als bezahlte
und unbezahlte Arbeitskräfte. Beiträge zur 2. Berliner Sommeruniversität
für Frauen. Oktober 1977. Berlin, 524-528.
Tröger,
Annemarie, 1987: German Women’s Memories of the World War II. In:
Higonnet, Margaret R. (Hg.): Behind the Lines: Gender and the Two World
Wars.
Othmer-Vetter,
Regine/Tröger, Annemarie
(Hg.), 1990: Zwischenzeiten. Frauenforschung aus der DDR.
Feministische Studien. 8 (1). Tröger,
Annemarie, 1998: Kulturrevolutionäre Vorstellungen im SDS und der Beginn
einer neuen Frauenbewegung. In: Lönnendonker, Siegward (Hg.):
Linksintellektueller Aufbruch zwischen „Kulturrevolution“ und „Kultureller
Zerstörung“. Der SDS in der Nachkriegsgeschichte (1946-1969).
Dokumentation eines Symposiums (1985). Opladen, Wiesbaden, 214-219.
[1] Die Traueranzeige wurde
von Dagmar Reese initiiert und formuliert und erschien in „Der
Tagesspiegel“ am 17. März 2013.
[2] Mit den Feministischen
Studien bot Annemarie Tröger gemeinsam mit Regine Orthler 1990
auch ein Forum zur Präsentation der ostdeutschen Frauenforschung
und für die durchaus schwierige Begegnung von ost- und
westdeutschen Frauen in der gemeinsamen Hoffnung auf eine
gesamtdeutsche Frauenbewegung (vgl. Orthler-Vetter/Tröger 1990).
[3] ) Nach Auskunft des
Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrums (FFBIZ)
mit einem umfangreichen Archiv zur Geschichte der neuen
Frauenbewegung war Annemarie Tröger nicht Gründungsmitglied des
„Aktionsrats zur Befreiung der Frauen“ im SDS, sie war aber an
dieser Initialgründung der neuen Frauenbewegung – etwa als
Leiterin einer Arbeitsgruppe des Aktionsrats – beteiligt. Sie
war auch Mitglied der aus dem Aktionsrat nach seiner Spaltung
hervorgegangenen Berliner Frauengruppe „Brot und Rosen“. Ein
Teil der Materialien des FFBIZ zur Anfangszeit der neuen
Frauenbewegung besteht aus „Originalen und Kopien aus der
Sammlung Annemarie Tröger“ (vgl. www.ffbiz.de)
[4] ) Annemarie Tröger hatte
die spezifisch politische Akzentuierung des Subjektiven in der
Frauenbewegung auch methodisch in ihre Forschung integriert, u.a.
insofern als sie auch als Wegbereiterin der
oral history in der
Bundesrepublik Deutschland wirkte. Vgl. u.a. ihre bis heute
international beachteten Studien über „German Women’s Memories
of the World War II“ (1987) und den Lebensalltag von Frauen im
Krieg (1981b).
[5] chronologisch geordnet Quelle: Femina Politica - die Zeitschrift für
feministische Politikwissenschaft, |