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Fichter/ Lönnendonker:
Dutschke - Der linke Patriot
Wie sich Rudi Dutschke die Wiedervereinigung gewünscht hätte und warum der SDS ein widerspruchsvolles Verhältnis zum DDR-Sozialismus hatte.

Eine Besprechung in der FAZ-print vom 5.3.2012 von Karl Wilhelm Fricke und in faz.net am 14.3.2012

Der redegewaltige Wortführer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) war ein linker Patriot, der eine sozialistische Wiedervereinigung des geteilten Deutschland „andachte“ und von dieser Position aus seine prinzipielle Kritik an der Politik der DDR artikulierte. Das ist die Quintessenz der Studie, die Tilman P. Fichter und Siegward Lönnendonker zu Rudi Dutschke und seinen deutschlandpolitischen Vorstellungen vorlegen.

Dutschke stammte aus Schönfeld bei Luckenwalde und verließ den SED-Staat erst im Jahr des Berliner Mauerbaus. Er befasste sich jenseits seiner ultralinken Irrungen und revolutionären Utopien wiederholt auch mit Problemen der Deutschlandpolitik. Im Juli 1973 zum Beispiel rügte er die DDR, weil sie „das Offenhalten der deutschen Frage“ ablehnte und „in dieser Auseinandersetzung mit der BRD sogar die sozialistische Wiedervereinigung zu Gunsten der völkerrechtlichen Anerkennung aufgab“. Dutschke sah darin „einen weiteren sozialistischen Rückschritt der DDR, einen weiteren Schritt der Abhängigkeit der DDR von der UdSSR“. Ein Verdikt von links.

Dutschke in Offenbach

DutschkeOffenbach
Dutschke in Offenbach 1975
(Foto: Barbara Klemm)

 

Die Autoren Fichter und Lönnendonker - zwei Veteranen des SDS und Akteure der 68er Studentenbewegung, Politologe der eine, Soziologe der andere - verflechten ihre eigentliche Thematik mit einer Chronik des SDS, mit dem sie sich auskennen. Sie haben 1979 bereits eine „Kleine Geschichte des SDS“ publiziert und verfügen aus eigenem Engagement über Insiderwissen. Ihr Buch charakterisieren sie als „deutschlandpolitische Streitschrift“. Gelegentlich gerät sie allerdings zu einer Streitschrift wider den Berliner Historiker Hubertus Knabe, dessen Einschätzung einer Unterwanderung des SDS durch SED, FDJ und DDR-Staatssicherheit sie als überzogen verwerfen.

Die Darstellung gliedert sich in drei Teile, deren erster dem SDS in seiner SPD-nahen Gründungs- und Entwicklungsphase gewidmet ist. Zweitens thematisieren die Autoren seine „autonome Phase“, die sie im Kontext mit dem Verhältnis des SDS zur DDR und den gegen ihn gerichteten Umtrieben des MfS abhandeln.

Die Autoren legen schonungslos bloß, was im Stasi-Jargon „operative Bearbeitung“ hieß. Der schäbige Verrat des Politikwissenschaftlers Dietrich Staritz (IM „Erich“), „ein Spitzel und Doppelagent im Kalten Krieg“, wird ebenso wenig vernachlässigt wie die Spitzelei von Peter Heilmann (IM „Adrian Pepperkorn“), dem Sohn einer angesehenen sozialdemokratischen Familie in Berlin, und seiner Frau Gertraude¸ die beide 1997 für ihre Agententätigkeit zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Ein dritter Fall betraf den 2003 verstorbenen Journalisten Walter Barthel (IM „Kurt“) vom links gewirkten Berliner „Extra“-Dienst. Alle drei konnten für einen begrenzten Zeitraum in der Spitze des SDS „plaziert“ werden.

Nach der wohl zutreffenden Meinung der Autoren waren Heilmann und Staritz „lediglich Spione“, die Informationen über den SDS nach Ostberlin lieferten, aber sie waren keine „Einflussagenten“, die „die Politik des SDS bestimmen konnten“. Die Gewinnung weiterer Agenten im Bundesvorstand des SDS gelang der Zentrale des MfS in der Normannenstraße nach Aktenlage offenkundig nicht.

Im dritten, eigentlich interessantesten Teil wenden sich Fichter und Lönnendonker dem deutschlandpolitischen Nachdenken Dutschkes zu. Seine Kernidee ging von dem strategischen Ziel einer „revolutionären Wiedervereinigung“ der beiden deutschen Teil-Staaten aus, die er nicht als Gegensatz zur „Weltrevolution“ im Marxschen Sinne begriff, sondern als historischen Prozess. In letzter Konsequenz war für ihn „die nationale Frage eine Frage der sozialen Emanzipation“, so das Resümee.

Die Analyse wird im Anhang unterfüttert mit 24 Dokumenten über Dutschke oder von ihm, in denen sich seine harsche Kritik an der DDR und seine deutschlandpolitischen Überlegungen widerspiegeln. Besonders aufschlussreich: eine Kontroverse zwischen ihm und Egon Bahr im Rahmen einer öffentlichen Diskussion am 30. Juni 1979 in Berlin, deren bislang unveröffentlichtes Protokoll wiedergegeben wird.

Die Studie ist sorgfältig recherchiert und kenntnisreich verfasst, ohne dass ihre apologetische Grundtendenz verschleiert wird. Die Autoren leisten einen relevanten Beitrag zur Geschichte des SDS und seinem widerspruchsvollen Verhältnis zum DDR-Sozialismus. Zugleich bereichern sie das Wissen um die politische Vita Dutschkes, durch dessen frühen Tod „die antiautoritäre Linke im damals noch gespaltenen Deutschland ihren einzigen selbstbewussten Vordenker, Patrioten und Internationalisten“ verloren habe.

DutschkesDeutschland

Tilman P. Fichter/Siegward Lönnendonker: Dutschkes Deutschland. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links. Klartext Verlag, Essen 2011. 318 S., 19,95 €.

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